Alle Inplayzitate
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Seit seiner Rückkehr nach Stellans fühlten sich die Monate nebliger an. Ihre Versuche die widersprüchlichen Gefühle zu verdrängen, führten zu einer Aushöhlung in ihr, zu einer Abwesenheit, die sich von innen langsam nach außen trug.
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Womöglich erinnerte sich Sloan an ein Gespräch vor einiger Zeit. Ein Abend, in dem Alkohol geflossen war und durch eine Verkettung aus Themen und Ereignissen zur Sprache kam, dass Irene einst einen Kinderwunsch gehegt hatte. Es war nie zur Erfüllung dessen gekommen, ebenso wenig zu einer Hochzeit mit Joyce und nun fühlten sich all die einstigen Träume, so sehr Irene sie gleichzeitig aufgrund ihrer Traditionalität auch immer belächelt hatte, unendlich weit entfernt, geradezu wie Erinnerungen aus einem vergangenen Leben.
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”First and foremost I shall always be your best friend, Maksim.” Er wusste nicht, wie er sagen sollte, dass dies separat war. Dass er ihn liebte und fürchtete, ihn als besten Freund zu verlieren, aber dass er in ihm auch mehr als das sah. Er hatte solche Angst vor der Flut an Wahrheiten, an der sie haarscharf vorbei schrabbten, dass die Versicherung wie der einzige Anker wirkte, den er sich und seinem erbärmlichen Selbst auswerfen konnte.
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Die Art, wie sie einander auf die Schulter klopften, einander ansahen, beobachteten, ja, überhaupt beachteten, war jedoch stets ein Indiz dafür, wie sehr ihre Freundschaft auf der Kippe stand. Als noch alles gut zwischen ihnen gewesen war, hatten sie immer erst nacheinander Ausschau gehalten, egal wer noch im Raum war. Und die erste Frage, wenn der andere nicht anwesend gewesen war, hatte sich immer um den Fehlenden gedreht. Anhand der Art, wie Maksim ihn zur Begrüßung anlächelte, machte Eliyas seit Jahren fest, wie willkommen er in Stellans noch war, obwohl er doch so viel Zeit außerhalb der Taschendimension verbrachte.
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„Kurz vor Schluss doch noch den Mut aufgebracht hier rein zu wandern? Typisch Touristen.“
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Woran dessen Worte nicht ganz unschuldig waren. Chiyeols Wunsch, zu gefallen, war wie ein Fieber, das ihn überfiel und Alejandro eine obszön ehrliche Antwort entlockte, die ihn kurz hinterfragen ließ, ob er über sich eigentlich noch Kontrolle hatte: ”Tonight you could do whatever you want to me and it’d please me.”
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Er wollte Ausdrücke in das Gesicht des Byuns malen, die noch nicht erfunden worden waren. Wenn Chiyeol Alejandro zu seiner Kunst machte, dann machte Alejandro Chiyeols Kunst zu seinem Geschäft und diesen Moment zu etwas, das ausgekostet, lang gezogen, nicht übereilt gehörte.
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Auf eigenen Füßen stehen, das war es doch, was sein Vater sich von ihm erhofft hatte. Verantwortung zu übernehmen. Zu beweisen, dass er mehr als der Junge war, dessen Scherben man hinter ihm wegräumen musste.
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Jetzt schien es so, als wären es Alejandros Hände, die ihn erst spüren ließen, dass er echt war.
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Maksim Fedorov war hingegen schön, weil er stark war und Sicherheit bot und weil er nun einmal einen Namen hatte, während der von Eliyas wie entliehen wirkte, unwichtig im Vergleich zu dem seinen. Für Eliyas war er natürlich auch noch schön, weil seine Hände schön waren. Weil Eliyas gern die Worte wäre, die Maksim schrieb. Weil er gern der beste Freund sein wollte, den Maksim verdiente, und den Eliyas ihm mit seinem Verhalten nur immer und immer wieder vorenthielt.
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Für Chiyeol waren die Narben wunderschön, für Alejandro waren sie einerlei. Ballast, den er trug, über den er sich nur beschwerte, wenn die Schmerzen Überhand nahmen. Der Profit, den er aus ihnen zog, war zu groß, um ihre Anwesenheit zu beweinen. Aber noch nie war er so zufrieden mit den Narben gewesen, wie in dem Moment, als Chiyeol sie berührte und mit seinem verräterischen Lob und seinen schmutzigen Händen zu geweihtem Boden machte.
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Müsste er einem Menschen seinen Untergang anvertrauen, dann wäre dieser Mensch Chiyeol Byun.
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Sie hätte das Rotkäppchen nicht herbringen müssen, sie einfach im Wald zurücklassen oder den Weg nach Hause zeigen können, doch irgendeine innere Stimme hatte sich nach Gesellschaft gesehnt, so bizarr und traurig dieser Umstand auch sein mochte. Manchmal brauchte man mehr als die eigenen Gedanken, die Stimme des Familiars und die Wörter völlig fremder auf den Seiten eines Buches um bei Verstand zu bleiben.
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Die Narben an seinen Armen waren noch dünn, nur Ausläufer des Gewebes, das sich über seine Schulten spannte, von links und rechts langsam aber sicher wie Hände über seine Rippen zu wachsen begann. ”What about my art? Does it appall you?”, raunte Alejandro. Mit einer Hand betastete er beiläufig eine der zwiebelnden nekrotischen Narben an seiner Rippe, bevor er eine Hand nach Chiyeol ausstreckte, dem Künstler, dessen Finger er auf sich wissen wollte.
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Heute würde es Chiyeol sein, der sein Leben in die Hände des anderen legte, indem er mit ihm weiter über die unsichtbare Grenze des Casinos trat, ungeachtet der Tatsache, dass Alejandro hier jedes Recht darauf hatte, den Byun zur Gänze zu vernichten, ihn in den Flammen seines eigenen Wahns ersticken zu lassen. Noch nie war es dem Künstler so verlockend erschienen, an seiner eigenen Kunst zugrunde zu gehen.
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Er hatte den Tischler bereits oft genug neue Sorten probieren lassen und dann sein Gesicht auf der Suche nach einer passenden Reaktion studiert. Somit wusste er auch, dass Benjamin Schofield alles trank und nichts hasste, außer wenn Teewasser zu heiß war. Er war ein Banause, was das betraf, und Bär fasste dies nicht länger als Beleidigung auf. Was vermutlich dafür sprach, wie schnell er dem Mann erlaubt hatte, von ihm gemocht zu werden.
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Der Krieg war vorbei und er war es auch nicht, weil es keinen Unterschied zu machen schien, dass Benjamin sowohl ihn als auch Kairo und die abscheuliche Uniform hinter sich gelassen hatte - er konnte sie noch immer spüren, als hätte sie sich in sein Wesen gebrannt, als wäre das eine nicht mehr vom anderen zu trennen, als würde es nicht mehr den Krieg dort draußen und ihn hier drinnen geben, sondern nur noch Benjamin und der Krieg.
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Eine unverfängliche Berührung, die sich doch nicht so anfühlte — nicht einmal für Bär, dessen Pranken doch zum Trösten gemacht waren; so viel weicher, als sie den Anschein machten. Mehr Tatze als Kralle.
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Wie sollte er dem anderen Mann in die Vergangenheit folgen, wenn er doch nicht wirklich verstand, wie massiv das Kriegsgebiet war, dessen Geister aus dem Boden von Schofields Bewusstsein stiegen wie Nebelschwaden aus den Wiesen; wie schwielig und aufgeplatzt die Haut an den Händen war, die sich nach ihm ausstreckten und ihn in seinen Träumen noch erwürgen wollten?
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Er schätzte seine Ruhe und kam alleine ganz gut zurecht, doch er kannte auch das Gefühl der Einsamkeit. Allein unter vielen. Manchmal meinte er, auch in Percys Augen dieses Gefühl erkennen zu können. Ein Trugschluss? Vielleicht. Doch er wusste, dass es auf Dauer nicht gut war, ständig mit den eigenen Gedanken allein zu sein. Irgendwann zerbrach man daran, und Arvin wollte, dass Percy dieses Schicksal erspart blieb.
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Also war sein Mitschüler bereits in den Genuss des herrlichen Wetters gekommen? Nun, gut für ihn, das freute Arvin natürlich, nur schienen die Sonnenstrahlen die finsteren Wolken, die sich Percys Gemüt schimpften, nicht wirklich aufgelockert zu haben. Er wirkte immer noch unnahbar und abweisend. Lag das an Arvin? Er hätte jemanden gebraucht, der ihm ein Read the Room-Schild ins Gesicht klatsche oder eine rote Fahne schwenkte, die ihm signalisierte, das er hier schon wieder ein paar unsichtbare Grenzen überschritt, und versuchte Mauern einzureißen, die vielleicht ja doch einen Daseinszweck erfüllten. Beides stand ihm nicht zu, das hatte Percy ihm schon mehr als deutlich gemacht. Warum konnte er es dann nicht einfach gut sein lassen?
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Bedeutete es, dass er Davin vergaß? Das die Erinnerung an seinen Bruder langsam aber sicher an Bedeutung verlor und verblasste, unwiederbringlich, wie die mit Tinte gefüllten Seiten eines Buches, das man im Regen vergaß?
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Es hatte einen Grund, warum er sich gegen die Schönheit der Welt sperrte, ob sie nun in Form von Kunst, wie Musik, zu ihm kam, in Form von Naturphänomenen, wie einem Regenbogen… oder in Form von Menschen.
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Eliyas, wie er von seinem niedrigen Feldbett auf die Knie sank, die Hände auf Maksims Schenkeln ablegend, ihn betrachtend wie jemanden, den er zum ersten Mal sah. ”Do you honestly think I could hate you?”, flüsterte er. Schob die Hand in seinen Nacken, so scheu und doch sicher, so viel langsamer als im Dunkeln, als er Maksim vor Wochen auf die Wange geküsst und geglaubt hatte, ihre Freundschaft zu zerstören. Wie seltsam, das nun brechen zu sehen, dieses Bild, das er von sich, von ihm, von ihnen gehabt hatte. Sich in das Neue nicht zu stürzen, sondern Maksim so sanft zu küssen, als kenne er keine Angst.
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”I am an idiot but you’re even worse.” Er wischte sich mit den Händen flach über das Gesicht, wie als würde er es aufwecken, die betäubende Kälte vertreiben wollen. ”Do you really think I hate you? Despise you? For doing something I’ve longed to do for an eternity?”
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Keine Zauberformeln oder Rituale, sondern die Magie des menschlichen Geistes, die Wunder erschuf, wo vorher nur Vorstellungskraft war.
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”You didn’t destroy our friendship”, fing er nun langsam an und für einen Moment sah er sich zwischen all den Briefen stehen, die er doch nie abgeschickt hatte.
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”Whatever has happened or should happen going forth, please don’t let my lapse in judgment destroy our friendship. I don’t want to lose you because of my so very common and preventable idiocy, Maksim.” Sanft nahm er seinen Namen in den Mund. Regelrecht bettelnd, dass der andere nicht so reagierte, wie er es all die Jahre befürchtet hatte: mit Abscheu, an der, da war sich Eliyas sicher, er zugrunde gehen würde.
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Aber vielleicht war Sloan in dem Fall clever genug, sich herzuleiten, dass er stets auf die Zaubereihistoriker:in hinabblicken würde. Was zugegeben reicht einfach war, denn Sloan war sehr klein.
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Ravi hatte Brechdurchfall. Er hatte eine leidenschaftliche Affäre begonnen. Oder er hatte sich in den Welten von Seleya Sunfields Schundromanen verloren und verbrachte das Wochenende am Kamin mit einer warmen Decke über den Beinen, während er mit irgendeiner 40-Jährigen Eisdielenbesitzerin mitfieberte, die gerade ihren zweiten Frühling erlebte.
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