Alle Inplayzitate
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”Probably because you never actually become a god.” Denn Götter starben nicht, oder kamen versehrt zurück zu den Lebenden. Wie lächerlich es ihr erschien, dass sich die Piloten im Himmel tatsächlich wie jene fühlten. Zugleich wurden sie doch auch genau wie solche gefeiert; Helden des Himmels, Prinzen der Wolken.
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Was waren Helden wert, wenn sie nur noch in Form von Medaillen zurückkehrten? Nicht einmal jene würde sie jemals in den Händen halten. Velma fühlte, wie auch das ihre Erinnerungen an Theodore überschattete, sie tiefer und tiefer in eine Unterströmung ziehen wollte.
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Es kam Velma einem Akt der Selbstzerstörung gleich, sich mit Mister Cresswell auseinanderzusetzen; sie wollte ihn dessen beschuldigen, wollte ihn zur Verantwortung dafür ziehen, dass er die Erinnerung an Theo in ihr hervorrief - aber dafür hätte sie ihm, oder auch nur irgendjemandem gegenüber, zugeben müssen, was Theodore ihr bedeutet hatte. Wie sehr sie ihn vermisste. Für wie zerstört sie ihr Leben tatsächlich hielt, seit seine Rückkehr unmöglich gemacht worden war.
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Ihre Routine war ihre Rüstung; deswegen bevorzugte sie die Arbeit im Green Husk, denn jene war ihr vertraut. Sie musste keine Wagnisse eingehen, sondern durfte sich der gleichförmigen Arbeit widmen, die sie ihr Leben lang gekannt hatte.
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Wie selbstverständlich er sich darin verlor, als wäre Oswin Cresswell nie zu etwas anderem geschaffen worden, als schlichtweg zu zählen. Er zählte, was er zu greifen bekam, alles, was ihm in den Taschen lag, und alles, worauf er Acht geben musste. Atemzüge. Fallschirme. Das Ticken einer alten Uhr. Sekunden, bis es endlich wieder Boden unter seinen Füßen war und er sich das Blut von den Händen waschen konnte.
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Wie konnte es sein, dass Theodore für sie noch immer die ganze Taschendimension belebte? Immer, wenn sie dachte, sie hätte sich weit genug gelöst, um ihr Leben weiterleben zu können, erinnerten sie kleine Ecken, die sie gemeinsam erkundet hatten, ans Gegenteil. Dann war sie sich bewusst, wie sie versuchte um ein riesiges Loch in ihrem Boden herumzuwachsen. Wie bemüht sie war, einen Garten auf einem sumpfigen Boden anzulegen!
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Im Klassenzimmer. In der Bahn. Dann an der Bahnstation. Jedes Gesicht war das seine, selbst über Oswin Cresswell stülpte sich Theodore, sodass es sie immense Kraft kostete, sich nicht in seine Arme zu werfen. Sie kannte das schon, und doch überfiel es sie immer wie ein Fieber, das Vermissen. Wie ein Albtraum, der sie auf Schritt und Tritt verfolgte, selbst wenn doch eigentlich nichts passierte.
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Mit einem Mal war Theodore überall. Als hätte er sich mit den Armen gerade noch auf den Sitz vor ihr gestützt und ihr sein sonnigstes Lächeln geschenkt - oh, wie er immer sie angeschaut hatte, selbst im Unterricht hatte er, wenn alle lachten, immer zuerst sie angesehen. Als würde er sie als Stimmungsbarometer benutzen. Nein, als würde er sichergehen wollen, dass sie auch lachte, dass es ihr gut ging.
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Nur dass sich seit einiger Zeit Astrids Gesicht in jeglichen, beinahe schon unwichtigen Details erkenne. Und als sei es nicht grotesk genug, dass ich meine Schwester in Form einer Weintraube mit mir reden höre, oder ihre Züge in den fein drapierten Falten meiner Schlafzimmervorhänge entdecke, ist da jetzt eben auch noch dieses Stechen. Dieses mulmige Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist.
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Es grenzt an ein Wunder, dass ich bei all den Sorgen, die unbarmherzig meine Schultern in Richtung Boden drücken, noch aufrecht laufen kann, aber ich schätze, dass bei Dingen, die sich mit bloßen Händen nicht greifen lassen, selbst die Schwerkraft von ihren eigenen Regeln abweicht.
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Etwas sticht in meiner Brust. Tausend kleine Nadeln, die ihre Spitzen von innen heraus gegen meinen Brustkorb drücken, mein Herz und meine Lunge in fein gesponnene Käfige stecken. Viel zu wirklich, um es zu ignorieren. Viel zu weit weg, um organisch begründbar zu sein. Ich schleppe dieses Gefühl seit Tagen mit mir herum, stetig darauf bedacht, unter der andauernden Last nicht einzuknicken.
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Vielleicht verbarg seine Schuld sich irgendwo zwischen den zerfledderten Seiten von Moby Dick. In der dünnen, zittrigen Schrift an den Seiten, von welcher Oswin wusste, dass es seine war, aber die er dennoch kaum lesen konnte, als würde sie eigentlich einem anderen gehören - fremd, so wie sich auch seine Hände fremd anfühlten.
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Wo war diese Verantwortung in den Jahren gewesen, in denen er so etliche Stunden zum Briefeschreiben zur Verfügung gehabt hatte, aber nicht mit einem einzigen Wort die Schuld zum Ausdruck hatte bringen können, die ihre Seile immer fester um ihn geschnürt hatte, auf dass er ihr nie wieder entkommen können würde? Wo war sie jetzt?
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Er wusste es, denn die Frage lag ihm wie zu heiße Suppe im Mund, aber auch sie konnte er nicht aussprechen. Selbst wenn es nichts gab, was er lieber wollte, als zu wissen, wie man nach all dem weiter machte, ja, regelrecht wieder lernte, Mensch zu sein.
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Ihre Fesseln, die milchigen, schlanken Waden, die zarte Kurve ihrer Hüfte, die Schultern, deren Linie er so oft entlang geküsst hatte, und ihr Nacken - sein Blick fuhr über ihre Gestalt wie ein hitziger, ungehaltener Kuss.
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Er hatte sich in so viele Nächte wickeln können, wie er wollte, Margots Name war nie von seinen Lippen verschwunden. Er hatte sie mit sich in den Krieg genommen, und das war etwas, was er sich nicht verzeihen konnte.
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Er hatte sie verzweifelt geliebt und zugleich für seine Kunst benutzt. Er hätte sie himmelblau auf seine Leinwand bluten lassen, nur um etwas von ihr einzufangen, das niemand außer ihm jemals zu Gesicht bekommen hatte.
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Er versuchte Margot weder sinnloserweise weiter zu lieben, noch sie zu hassen. Wenn sich James tatsächlich nach etwas sehnte, dann nach einer Ambivalenz, die ihn von seiner eigenen verrottenden Gefühlswelt entfremdete. Wenn er nicht länger seinen Geist von dieser Verzweiflung getränkt sah, wenn er ihn abspeisen und hungern lassen könnte, ohne sich ständig nach Margot zu verzehren, würde sein Leben, davon war er überzeugt, anders aussehen.
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Sein Lächeln perlte im ersten Moment von ihr ab. Wie Wassertropfen an einer Wasserscheibe, die ins Innere gelangen wollten. Sie hingen dort fest, schafften es nicht der Schwerkraft zu trotzen und rutschten trostlos hinab, bis sie sich in einer elenden Pfütze sammelten.
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Gemieden zu werden. Nicht mehr gewollt zu werden, war ein leiser Schmerz. Einer, der nicht schreit, sondern frisst. Und er nahm einem das Vertrauen an allem Guten auf der Welt, denn es gab kaum noch Menschen, die ihr sagten, dass auch sie diese Momente verdient hatte.
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Womit auch immer Silas auch versuchte es zu vertreiben - er ölte die Scharniere, er löste eine Diele aus dem Boden und stopfte einen Spalt am Fenster mit einem alten Lappen - es blieb genauso wie die Kälte im Knochenmark der Kirche verankert und nicht selten verfolgte es ihn gar über die Kirche hinaus, auf dass er nachts von einem Knacken oder einer sich wie aus dem Nichts öffnenden und mit einem Knall wieder schließenden Tür aus dem Schlaf gerissen wurde.
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”Please, I need to get out, I can’t-“ Keuchend stieß Velma Oswin in die Seite, drängte sich an ihm vorüber und, sobald die Bahn hielt, stürzte sie auch schon aus der Tür. An die frische, kalte Luft; der Winter packte ihre Lunge und drückte die Flügel zusammen. Erst als sie sich überbeugte und schwer atmend versuchte, ihren Puls zu kontrollieren, wurde ihr bewusst, dass sie noch immer Moby Dick in der einen, ihre Handschuhe in der anderen Hand hielt.
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Die Bahn fuhr in die Glimmebauerstraße ein; hinter schicken Fachwerkhäusern verbargen sich schmale Pfade, die zum Bade- und Angelsee führten. Sie und Theo waren oft dorthin spaziert oder mit dem Rad gefahren; nach dem Baden hatten sie einmal in einem winzigen Restaurant gegessen; Heilbutt in Sahne und gebutterte Artischocken, herzhafte kleine Törtchen mit Benédictine Likör, den sie kichernd und einander verschwörerisch mit den Ellbögen anstoßend, getrunken hatten. Wangen wie im Fieber, eine Verliebtheit in der Luft, die den Geruch frischer Wäsche, nasser Haare, von Sonnenmilch mit sich trug.
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Wenn sie Oswin Cresswell hingegen ansah, erinnerte sie sich daran, dass sie Theodore weder davon hatte abhalten können, die Taschendimension zu verlassen und Pilot in der Royal Airforce zu werden, noch davor, zu sterben. Er war gestorben ohne auch nur ein einziges Mal von ihrer Maulbeermarmelade zu probieren.
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Plötzlich wünschte sie sich, sie wäre heute einfach daheim geblieben. Sie wünschte sich, sie hätte dem Gewicht auf ihrer Brust nachgegeben und wäre im Bett liegen geblieben, die Augen blicklos an die Decke starrend. Aber der Winter gaukelte ihr stets vor, sicher zu sein. Im Winter fühlte sie sich wie gestärkt von den zimtigen, reichen Aromen ihrer Umgebung; von Glühwein und Apfeltee, von frisch gebackenem Brot mit im Sommer eingelegten Maulbeeren. Sie entsann sich der eigenen Hände, die die Früchte eingelegt hatten, und dachte sich, wie viel Gutes sie für sich und ihre Lieben getan hatte.
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”I agree”, erwiderte Velma nüchtern, ”You shouldn’t have.” Dann richtete sie den Blick wieder hinaus aus dem Fenster, als wäre das Thema für sie abgeschlossen. Doch das Einzige, was Velma Lovage Lamb tat, war, ihrer Familie alle Ehre damit zu machen, dass sie beschloss, über alles zu schweigen.
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Als er sich entschuldigte, versuchte sie jedoch seine Worte aufzunehmen. Langsam betrachtete sie ihn, prüfte mit dem Blick jede Zuckung in seinem Gesicht nach Aufrichtigkeit. Verworrene Emotionen zeichneten sich auf diesem hageren Gesicht ab; er kämpfte sich durch seine Entschuldigung hindurch wie ein Fliehender durch Wald und Wetter.
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Betont kühl, gar gleichgültig, ließ sie seine Anwesenheit über sich ergehen. Als wenn in ihrem Inneren kein Sturm wüten würde, der so grausam anzusehen war, dass nicht einmal Velma den Blickkontakt mit ihm aufzunehmen vermochte. Ihre Hände, sehr bleich und sehr rot an einigen Stellen, krampfte sie bei seinen Worten in ihre Handschuhe. Ihre Gliedmaßen zitterten; vor Kälte, vor Entrüstung, vor Hilflosigkeit. Wenigstens benutzte er nicht länger ihren Vornamen, so als wären sie einander Bekannte; aber selbst das weigerte sich Velma ihm positiv zuzuschreiben.
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Ihr Zorn hingegen, der sie erfüllte, als sie sich in der Wohnung eben dieses Mannes wiederfand und sich um ihn kümmerte, nur um von ihm verhöhnt zu werden, war das komplette Gegenteil davon. Er hatte sie belebt - und das machte sie Oswin Cresswell noch stärker zum Vorwurf. Wenn sie jemand aus ihrer unverwüstlichen Einsamkeit holte, dann sollte es ihre Familie sein, ihre Brüder, ihre Eltern, vielleicht sogar Lydia und Paula, aber sicherlich nicht der einstige Pilot, der wohl glaubte, sie schikanieren zu dürfen.
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Und er hatte ausgesehen, als würde er in ihrem Gesicht etwas suchen, das sie lange nicht mehr in sich trug - vielleicht eine Jugend, die sich mittlerweile wie weggewaschen fühlte. In dem Moment hatte sie sich uralt gefühlt, schal und abgenutzt.
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