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Manchmal, wenn Chiyeol sich wie Wind fühlte, den man einzufangen versuchte, suchte er sein Lager auf, packte ein Gemälde aus und starrte es an. Er hängte sie nicht auf. Er wollte nur etwas besitzen, das dann ungesehen vor sich hin gammelte. Keinem anderen Künstler hätte er eine solche Beleidigung angetan, aber Chiyeol Byun verdiente es nicht, dass irgendwelche Augen, außer die von Alejandro Zerrudo, seine Werke betrachteten.
"Ich weiß nicht, wie ich das finden soll, dass du von meinem Schlafzimmer träumst", lachte Alejandro trocken. Das Geräusch ein Knistern, wie schwere Schuhe auf trockenem Laub.
"Geduld …", erinnerte Alejandro sein Familiar an das, was er sich seit Jahren selbst vorpredigte und was Chiyeol immer und immer wieder überstrapazierte. Geduld.
”Ich kann jedenfalls schon sehen, wie du sie dir über dein Bett hängen wirst, oh ja, das wird mir heute Nacht definitiv auch meine Träume versüßen.”
Und weil es immerzu Impulse waren, welchen Chiyeol vollkommen blind folgte, legte er nun für den Bruchteil einer Sekunde seine Hand auf die Wange des anderen, ehe er sich von ihm abwandte und den Auktionssaal verließ.
Das war wirklich schön.” Ihr Wiedersehen, das Gespräch, der kurze Konkurrenzkampf und das Geschenk, welches Alejandro ihm hiermit doch unweigerlich machte. ”Danke.”
Aber die Liebe zum Detail in Chiyeols leidenschaftlichen Malereien, erfüllte ihn dennoch mit einer ungehörigen Eifersucht, weil den Blick seines Feindes auf sich zu spüren ihm wenigstens eines bescherte: das Gefühl, lebendig zu sein.
Sie waren und blieben beide Gestalten in den Schatten. Wenn man sie ans Licht zerrte, würde es für ihrer beider Leben das Aus bedeuten.
Wenn Alejandros zweiter Vorname nachgiebig lautete, so musste Chiyeols bescheiden sein.
Nicolò war gebrandmarkt, konnte weder vor noch zurück. Und doch war er hierher zurückgekehrt – in das Haus seiner Eltern, wie als würde er es darauf anlegen, sich das Backsteingemäuer mit ihrem Zorn zu teilen. Als würde er sich damit selbst verfluchen, sich bestrafen wollen.
Wenn Nicolò den Raum betrat, sah Arcturus nicht auf. Sie grüßten einander nicht, außer man wurde von anderen auf die Gegenwart des anderen hingewiesen. Man tauschte oberflächlich Worte aus, wobei das gespielte Desinteresse wie ein Wettbewerb zwischen ihnen erschien. Manchmal hatten sie dieses Distanzspiel so weit getrieben, dass es unterschwellige Zweifel zwischen sie gestreut hatte – aber niemals für lang, niemals auf Dauer.
Im Schrank seines alten Kinderzimmers hingen noch immer ein paar seiner Sachen, doch es war mehr als zwanzig Jahre her, dass er diesen Ort sein Zuhause genannt hatte. Was er dort fand, fühlte sich wie aus einem anderen Leben an; als würde es einem Fremden gehören.
In der Hinsicht war er Hedonist; er war so geduldig, dass jedes Aufeinandertreffen mit Chiyeol fast schon friedlich wirkte, wie als hätten sie ihre Waffen und Rachegelüste abgelegt. Es war ein beunruhigender Frieden, die Ruhe vor einem Sturm, der Jahrzehnte unter der Oberfläche brodelte und brodelte.
„Wenn du Zeit mit deiner Tante und deiner Direktorin verbringen willst, dann lade ich dich das nächste Mal gerne dazu ein, aber wie gesagt – es ist weder geheim noch ereignisreich.“ Polina und ihre Anwesenheit wäre sicherlich eine Herausforderung um Irene dezenter auf die Nerven gehen zu können. Oder Avancen machen konnte. Nein, so was klappte am besten ohne Zuschauer. Sie wollte ihre Nichte nicht noch mehr traumatisieren.
Du kleiner Bastard.
Großmütig verzichtete Alejandro auf den Hinweis, dass nichts an ihm klein war.
”Wenn es um meine großzügigen Portionen beim Mittagstisch geht … Ich kann nichts dafür, dass die Küche so famose Gerichte zustande bringt! Da kann mir doch niemand Maßlosigkeit vorwerfen”
”Du kleiner Bastard”, kam es ihm über die Lippen, jedoch ohne die Härte einer Beleidigung, vielmehr spielerisch, als würde es sich dabei um etwas fast schon Liebevolles handeln.
Das Hier und Jetzt, die Realität - wie unerträglich diese für ihn war, wie sehr er daran zugrunde gehen konnte, hatte er zuletzt in seiner Kindheit wahrhaftig zu spüren bekommen, an dem Tag, an welchem er hatte realisieren müssen, auf sich alleine gestellt zu sein, und so war es seit jeher allem voran seine eigene Wirklichkeit, in welcher er lebte.
Sie gaben sich nichts, versuchten sich aber alles zu nehmen. Immer und immer wieder, wobei ihr Gespräch wie eh und je auf andere vermutlich harmlos wirkte, wie nichts weiter als ein stichelnder Austausch zwischen Rivalen. Sie selbst jedoch sollten es besser wissen; hinter jedem Wort lag eine Erinnerung, hinter jedem Spruch eine Offenbarung wie auch Verschleierung.
”Mir scheint, du willst unbedingt, dass ich dich bemerke. Das hat dir doch immer schon gefallen, nicht wahr? Du wolltest immer von mir bemerkt werden, immer meine Aufmerksamkeit für dich haben, immer in meiner Nähe sein. Daran hat sich nicht so viel verändert, wie du vielleicht glaubst.”
”Du würdest meine Sammlung zur Geschmacklosigkeit verdammen.” Chiyeol Byun passte nicht in sein Sortiment; nicht als Gegenstand, nicht als Anhängsel, nicht als Angestellter, Untergebener oder, Gott bewahre, als Freund. Nur die Rolle des Feindes, dem man unweigerlich zu viel Bedeutung beimaß, erfüllte der Mann in dem chaotischen Aufzug mit dem zerzausten Haar und dem Schlafzimmerblick bis zur Perfektion.
So leicht es Alejandro im Normalfall auch fiel, herauszufinden, wonach sich jemand sehnte, waren Chiyeols Wünsche und Träume ihm doch weiterhin ein Rätsel. Der Weg zu ihnen war ihm versperrt; es war eine Grenze, die er selbst gezogen hatte und nicht zu überschreiten wagte. In Chiyeols Traumwelt einzudringen, war ihm schlichtweg unmöglich.
Hätte man ihn gefragt, hätte er zu seiner Verteidigung wohl etwas darüber geschwafelt, dass auch in der Wahl des gemusterten Wollpullovers mit dem zerknitterten Hemd und dem mit Farbflecken und Flicken versehenen Mantels eine gewisse Kunst lag, und die Tatsache, dass seine Haare augenscheinlich noch nie mit einem Kamm Bekanntschaft geschlossen hatten, ein Akt der Rebellion gegen das System war.
Natürlich hätte er Alejandro einfach hier und jetzt töten und es endlich hinter sich bringen können. Aber nach all dem Warten wollte und konnte Chiyeol sich nicht mit einem derartig schmucklosen Mord zufrieden geben.
Alejandro hingegen, der war wirklich frei. Vielleicht sollte er dem Syndikat doch eine Grußkarte mit einem netten Dank schicken, immerhin hatten sie dies erst möglich gemacht. Hätte das Syndikat ihn nicht verschmäht und Chiyeol ihn nicht verraten, wäre er jetzt auch nur ein Tier, das gelernt hatte, Fers zu laufen.
Ein Hund an der Leine des Syndikats, mehr war Chiyeol Byun nicht, selbst wenn er sich für einen Freigeist hielt. Seine Kunst, sein vermeintlicher Brotjob, war hingegen ein trübseliger Versuch, sich Freiheit zu erkaufen, die er nicht besaß.
Der eine badete in seiner eigenen Genüsslichkeit, während der andere unbewegt und aalglatt blieb, sich selbst wie auch alles um sich herum zu ernst nehmend, um Chiyeols Lächeln jemals mit einem eigenen zu bestätigen. Wenn Alejandro Zerrudo lächelte, dann aus Kalkulation – schleichend wie eine Schlange, die sich lautlos schlängelnd auf ihre Beute zubewegte.
Es war lange her, dass sie das gleiche Ziel vor Augen gehabt hatten, und dass der eine dieses Ziel erreicht hatte, der andere hingegen nicht. Und doch hatte Alejandro es nie überwunden, der andere in diesem Szenario gewesen zu sein. Er verübelte es Chiyeol noch immer, gewonnen zu haben – und wenn Alejandro eines war, dann nachtragend wie ein zorniger Gott.
Dies war kein Tag für einen Mord, der perfekt zu sein hatte, aber ein Tag, an welchem sich zwei Verräter nebeneinander setzen konnten, als wären sie lediglich ein paar gute Bekannte.
Auch jetzt noch suchte Aurora verzweifelt nach diesem Band, aber sie berührte es nicht mehr nur, sondern zerrte daran, zerrte und zerrte; und Gael? Er schien, wie auch für ihre Worte, taub für alles geworden zu sein, das ihn einst an Aurora verzückt hatte.
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