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Zu viele Jahre trennten sie voneinander, und wenn sie von Czar sprachen, dann nie, als wären sie, die Kinder, eine Einheit. Nein, sie bildeten keine harte Front gegen ihre Eltern, sondern ein jeder schien nur für sich in diesem abstrusen Konstrukt der Familie zu kämpfen. Sie alle versuchten den Kopf über Wasser zu halten, obwohl die Flut sie unabänderlich unter sich begrub.
Wenn es lediglich Stolz wäre, der sie zu guten Fedorov-Kindern machen würde, hätten weder Czar noch Dariya jemals etwas an ihrem Spross auszusetzen — außer vielleicht an Agnessa.
Das Frettchen robbte unter einem Klamottenhaufen hervor, etwas erdrückt von dem Pullover, und rannte dann um Sofias Füße, sofort die Aufmerksamkeit ganz auf sich haben wollend. Balthazar rieb sich mit einer Hand über das Gesicht. Manchmal wünschte er, sein Familiar hätte etwas mehr Würde.
Seine lallenden Worte verfestigten aber Katyas Verdacht. Es musste hier um das gehen, was Eliyas ihr erzählt hatte, und sie musste sich ein gehässiges Lächeln unterdrücken. Andererseits war sie etwas beleidigt – sie und Eliyas. Sie hatte Standards…
In einigen Punkte erkannte Aurora sich selbst in Agnessa wieder: Beide hatten sie jung und vermutlich etwas übereilt geheiratet. Beide waren gut erzogene Brünetten eines gehobenen Standes. Beiden konnte man ansehen, dass sie sich um andere bemühten, auch wenn Aurora darin mit den Jahren geübter geworden war, sodass es beinahe mühelos aussah (war es nicht).
Oft starrte sie hinaus in ihren Garten, in dem sich das Laub vom Wind umherschleudern ließ, und fragte sich, ob sie nicht nur die schöne Seite des Herbstes verpasst hatte, sondern auch, wie sie den Sommer hatte übersehen können.
Aber ehe er diese Frage tatsächlich über die Lippen bringen konnte, war sie es, die sich nun mit einem hämischen Grinsen im Gesicht darüber erkundigte, warum es ausgerechnet er war, der sie begleiten durfte.
”Um dein Gesicht auszugleichen, haben wir gesagt, dass der mit dem schönsten gehen muss - und ich hab leider gewonnen.”
Katya verzog die Mundwinkel nach unten und schaute Eliyas mit einem Gesichtsausdruck aus einer Mischung aus Mitleid, Empörung und Schalk an. Einer ihrer typischen Mimiken.
Als sie das ungeliebte Gesicht von Polina Fedorova sah, war sie entweder doch wach oder es war ein Albtraum.
“Zuletzt haben wir da noch die Blüten des Granatapfels, welche sowohl für das Leben, aber auch für den Tod stehen können. Das Blumengesteck ist also entweder ein perfektes Geschenk für eine Verabredung nach einem Streit, oder aber eine Warnung, bevor man eine verflossene Liebe umbringt”
Sein Blick schwankte zur Seite und traf auf die schwarzhaarige Polina Fedorova und hätte man Maldwyn gefragt, wie er sich eine Nekromantin vorstellen würde, die dazu bereit wäre, ein Monster wie Zenaida Falkenrath-Blum wieder auferstehen zu lassen, dann wäre sein Finger wohl unweigerlich auf sie gefallen.
Irgendwie war gefühlt die Hälfte der Lehrerschaft definitiv nicht dafür geboren Lehrkörper zu werden. So wirklich gar nicht.
Leider war es ihm nicht möglich, den anderen einfach wegzuignorieren. Denn während Melchiors Erstarren ganz klar darauf hindeutete, dass er nichts mit dem anderen Mann anzufangen wusste, schnatterte Ravi einfach weiter, als wenn es vollkommen normal war, dass sie einander 1.) des Nachts in der Bibliothek über den Weg liefen, und 2.) sich über das Fehlverhalten von Schülern austauschten.
”Wie … lehrerhaft von dir”, murmelte Melchior.
Selbst Maldwyn Bonfe, dessen Klammern und Jammern keinesfalls dazu dienen konnte zur Beruhigung von bereits angespannten Nerven beizutragen, was in der Hinsicht hilfreich, dass er durch seine bloße Existenz bewies, dass es sich hierbei nicht um einen verqueren Traum handelte und sie sich tatsächlich noch innerhalb der Mauern der Akademie befanden.
Ein kleines Blumengesteck, magisch haltbarer gemacht, sie hatte keine Karte vorbereitet, die naive Hoffnung hegen, dass dem alten Professor Thorn schon der Groschen fallen würde, dass Aissata dahinter steckte. Und im gleichen Atemzug würde er seine Liebe für sie erkennen, aber galant warten, ihr diese zu eröffnen, bis sie die Schule beendet hat und dann das Friede, Freude, Eierkuchenleben, welches sie sich wünschte.
Zwei Schüler befanden sich mit dem Rücken zu ihr — ein Schopf in der Farbe getrockneten Weizens ( Maldwyn Bonfe ), einer weißblond wie ein Streifen Mondlicht ( Mira Oswald ) —, in der Nähe tauchten noch zwei weitere Schülerinnen auf. Zenaida Falkenrath-Blum. Das Bellandi Mädchen, Sofia Bellandi. Und dann war da Polina, die in ihrem gestreiften Schlafanzug wie erstarrt zwischen Tür und Angel stand und nichts hervorbrachte, außer ein irritiertes: ”Was macht ihr in meinem Badezimmer?”
Eine Begegnung mit Maksim Fedorov, der anscheinend mit seinem Bruder Miron Fedorov unterwegs war, hatte ihm noch gefehlt. Nicht, dass es ihm möglich gewesen wäre, den Fedorov in diesem Augenblick anzusprechen. Ausnahmsweise stand ihm aber auch nicht der Sinn danach; ihm war zu kalt und er langweilte sich, aber er langweilte sich doch nicht genug, um sich einer sinnlosen Provokation des Fedorovs hinzugeben.
Wie gerne läge er jetzt irgendwo in den Tropen und würde sich den Rücken von einem hübschen Mann mit sanften Händen einölen lassen. Stattdessen war er dazu verdammt, auf dem Herbstfest zu sein.
Ungewöhnliche Anfrage, wenn man bedachte, dass ihre Existenz auf dem Fest schon Aufgabe genug war und das stetige Beobachten nicht so schrecklich langweilig sein konnte. Sicherheit war nie langweilig.
Dass Agnessa ebenso, wenn nicht sogar mehr, ihr Fett weg bekam, fiel ihr nicht sonderlich auf. Wieso auch? Agnessa war schon immer der Boxsack aller gewesen, das war nichts Neues, sondern sorgte für ein gesundes Klima zwischen den Geschwistern und war vermutlich das Einzige, auf das sie sich einigen konnten.
Wie abgesprochen und doch typisch in spontaner Fedorov-Manier, verteilten sich die Geschwister im Raum. Pavla und Maksim saßen, Miron befummelte seine Kamera, und dann tauchte Agnessa auf und begrüßte sie so förmlich, als befände sie sich auf einem offiziellen Staatsbesuch.
Zugleich war es beruhigend, dass unter den Geschwistern immerhin alles beim Alten war. Kaum betrat Maksim den Raum, verbreitete er mit seinem zehn-Jahre-Verstopfung Gesichtsausdruck auch schon eine herrlich familiäre Stimmung.
Ihre zahlreichen Nichten und Neffen waren schlussendlich auch noch da, auch wenn sie glaubte, dass das Affenhaus im Zoo weitaus weniger anspruchsvoll und intrigant war. Was man nicht alles für die Liebe seiner Eltern tat. Oder um ein Stückchen vom Kuchen zu bekommen.
elbst wenn Polina sich denken konnte, dass wohl etwas gewaltig im Argen sein musste, so lang wie sich ihre Mutter bereits in Leningrad verkroch wie eine schmollende Muschel, konnte sie sich nur schwer vorstellen, dass sie den Geburtstag ihres Ehemannes verpassen würde. Wenn ihr irgendetwas von Bedeutung war, dann doch der Schein. Innerlich konnte alles noch so verrottet sein — solange es außen glänzte, war es gut genug.
In Bärs gewundenem Denken machte es wenig Sinn, dass er mit einem Mal Sympathie für den vor sich sitzenden Mann empfand, und doch war es so. Die Nervosität des anderen wurde zu seiner eigenen. Seine starre Verhaltenheit spiegelte sich in ihm wieder. Er wünschte, er könnte irgendetwas sagen, das beschwichtigte oder unverwerflich war, aber Bärs Zunge war wie verknotet.
. Sein Blick erschien vielleicht etwas weicher als er zu Polina und Pavla sah. Seinen Mädchen war er stets zugeneigter gewesen, obwohl es nur seine Söhne waren, die ihn tatsächlich interessierten.
Selbst an diesem Tag mangelte es seinem Blick an Wärme, an Zuwendung, selbst an Freude. Einen nach den anderen nahm Czar ins Visier, wobei er Agnessa überging.
Maksim und Miron nickte er wohlwollend entgegen, während es Yekaterina war, die er zuletzt ansah und bei deren Anblick sich seine Lippen tatsächlich zu einem knappen Lächeln hoben. Er mochte seine älteste Tochter nicht.
Er musste den Salon noch nicht einmal betreten haben, um zu wissen, wie seine verweichlichten Abkommen sich an diesem Tag quälen und zieren würden, ihm ins Gesicht zu lächeln während sie darauf warteten wieder gehen zu dürfen.
Czar war stolz, aber nicht eitel. Er war arrogant genug, um die blumigen Glückwünsche und Huldigungen für angemessen zu halten, aber er war nicht blind für das Speichellecken, für die falschen Schmeicheleien und die dumpfen Oberflächlichkeiten. Es war ermüdend und ernüchternd am eigenen Geburtstag daran erinnert zu werden, wie sehr er umgeben, nahezu umzingelt von Stiefelleckern und Schlangen war. Der bitterer Teil dieser Wahrheit war, dass seine Kinder davon keine Ausnahme waren.
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