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Aber anstatt ihnen beiden den Gefallen zu machen und sich umzudrehen und ohne ein weiteres Wort an den anderen zu richten, welcher selbst Benjamin gegenüber so wirkte, als hätte er vergessen, dass man irgendwann auch aufhören musste, zu wachsen, vergrub er nun die unruhigen Hände in den Hosentaschen.
Die Männer hatten in der Küche nichts verloren, sie störten nur mit ihren wenig geistreichen Kommentaren und – weitaus schlimmer – ihren ungefragten Tipps.
James war ungreifbar für sie geworden. Er war eine quälende Erinnerung geworden, eine Vergangenheit, die in ihr lebte und starb - eine Fäulnis, so süß sie auch war, sie verrottete in ihr.
Er konnte es sich nicht einmal vorstellen, seinen Vater zu bitten, sich zu setzen, oder gar seine Mutter am Krankenbett zu besuchen und zu sagen: Ich werde die Schule nicht beenden. Rhoslyn Bonfe würde auf der Stelle eines raschen Todes sterben. Ihr Vater würde sich nie wieder davon erholen. Und dann, was dann? Ja, dann würde Melchior vor Reue ebenfalls erkranken, bettlägerig und böse werden, vor sich hin siechend, verrückt verrückt verrückt.
Melchiors Unterkiefer sackte herab und ihm rauschte so deutlich das Blut in den Ohren, dass Chwaers Flügel noch schneller schlugen. Bald käme bei ihnen beiden der Herzinfarkt, den er als chronischer Hypochonder schon tausendmal "fast erlebt" hatte.
Er wünschte sich fast, Maldwyn würde ihn abwehren, ihn zurückweisen, ihm sagen, er solle nicht den großen Bruder spielen, denn wirklich wohl fühlte sich Melchior nicht damit. Aber natürlich geschah nichts dergleichen. Noch kein einziges Mal in seinem Leben hatte Maldwyn ihm gegenüber die Stimme erhoben, sodass es fast den Eindruck erweckte, als sei er gar nicht dazu in der Lage.
Dabei besaß ihre Verwandtschaft mit den Falkenrathas für Polina durchaus einen verbotenen Reiz, dem sie vielleicht nachgegeben hätte, wenn Zenaida nicht so schön gewesen wäre, wobei das Hässliche an ihr war, dass sie dies wusste.
Schüler, die sich heimlich am juckenden Hintern kratzten, zählten da ebenso sehr dazu wie strebsame Streber (mit Ausnahme ihrer Zwillingsschwester) oder die bübischen Sportskanonen mit den zu kurzen Shorts und dem zu lockeren Umgang mit der Ringelnatter, die unter dem Stoff hin und her flappte wie ein nach Luft schnappender Fisch.
Er nahm es mit noch weniger Fassung als Zenaida – und eine kleinlaute Stimme in ihrem Kopf fragte sich, ob das überhaupt möglich war.
Die meisten Namen ihrer Mitschüler und Mitschülerinnen waren ihr entgangen, aber über die Heulsuse des Jahrzehnts hatte sie sich besonders oft lustig gemacht und entsprechend hatte sich sein Name bei ihr eingebrannt. Der Blonde sah aus, als ob er sich jeden Moment übergeben würde. Hauptsache nicht auf Zenaida oder ihre Schuhe.
Mit solchen Dingen war sie noch nie konfrontiert worden. Sonst hieß es immer nur, Zenaida Blum, ich will sein wie sie, Zenaida Blum, wie kann man nur so hübsch sein, Zenaida Blum schafft sogar Bestnoten zu halten… Die Zeiten waren jetzt wohl vorbei.
Zenaida Blum war durchgefallen, Zenaida Blum musste das Jahr wiederholen, Zenaida Blum hat endlich bekommen, was sie verdiente.
Sein Blick flackerte kurz zu Koshka, der zwischen ihnen beiden herumwuselte, und kurz wünschte er sich, der Husky würde mal auf die Idee kommen, die nervige Motte zu jagen oder zu fressen… Aber auf eine solch grandiose Idee schien Maksims Familiar nicht zu kommen, selbst wenn er Eliyas, der das Schlehengeistchen manchmal regelrecht unerträglich fand, damit einen Gefallen getan hätte.
Der Schmerz war so eindringlich, dass er zu schwer auf einmal zu fühlen war. Aber er stolperte von der Wucht einen Schritt zurück, sein Kopf ging unangenehm nach hinten; kein Ausweichen, ein schmerzerfülltes Empfangen. Wie erbärmlich, dass er sich wünschte, Maksim würde direkt noch einmal zuschlagen. ”Danke”, nuschelte er ominös.
Nein, das hier ist nur ein kleiner Streit, redete sich Eliyas ein. Dass sein Familiar bei dem Gedanken leise hüstelte und das fühlt sich aber gar nicht danach an behauptete, wies er vehement von sich.
Trotz dass Maksim ihm keinerlei Aufschluss über seine Laune gab, glaubte Eliyas jedoch nicht daran, dass dies das Ende ihrer Freundschaft war. Er wusste aus Erfahrung, dass Maksims Launen wieder verflogen, wenn man ihm genug Raum und Zeit gab, um über alles nachzudenken — nur geben wollte Eliyas ihm weder das eine, noch das andere.
Gerade wollte Eliyas Maksim einfach nur an die Wand klatschen. Wenn die Vorstellung für ihn nicht so absurd wäre, seinen besten Freund mit dem breiten Kreuz einfach am Kragen anzuheben und gegen das nächste Schaufenster zu schubsen, hätte er es vielleicht sogar versucht.
Wut darauf, dass er nicht einmal mehr wusste, wie er Briefe an seine Eltern, an seine Freunde, oh, vor allem aber an Maksim, schreiben sollte, die nicht zensiert werden würden. Wut darauf, dass seine Gedichte sich formlos und nackt anfühlten und er sie nicht genoss, sondern selbst verachtete.
Ihr einen Wunsch abzuschlagen fiel vielen nicht so leicht, doch bereits damals in der Schulzeit hatte Maxi nicht unbedingt zu ihren Verehrern gezählt. Lustig war dabei, dass Selena versucht gewesen war mit ihm anzubändeln, eigentlich aus dem exakt gleichen Grund, aus dem sie nun mit seinem Vater eine Affäre führte: Er war ein Fedorov und entsprechend reich, also damit ganz automatisch eine gute Partie.
Sie berührten einander nicht. Nicht wirklich. Nur mit Ellbögen, die man mal in die Seite rammte, oder einem Klaps auf den Hinterkopf. Eliyas hatte regelrecht Angst davor, Maksim könnte ihn doch irgendwann einmal in eine Umarmung ziehen. Was, wenn dann alles aus ihm herauspurzelte, was er jahrelang tief in sich vergraben hatte? Was, wenn Maksim spürte, wie er sich verspannte aber sich dann so nah an ihn drückte, so verräterisch nah, dass er sofort wusste: Mein bester Freund ist in mich verliebt.
Mehr noch als Eliyas Familiar, war Maksim die Stimme der Vernunft in seinem Kopf. Manchmal so lästig, vor allem wenn er das Gefühl hatte, sie riefe ihn heim und rede ihm ins Gewissen. Heute fühlte er sich dieser Stimme nicht nah, heute war sie so weit weg wie Maksims Blick, der irgendwie immer und überall war, nur nie dort, wo Eliyas ihn haben wollte: auf sich. Immer auf sich.
Sie hätte sterben können und er hätte es einfach verpasst, weil er nach dem Unterricht immer den verwachsenen Weg hinter der alten Bäckerei der Montdidiers nahm, wo er im Frühling manchmal so lange den Löwenzahn ausrupfte, bis seine Hände ganz Gelb gefärbt und das Mittagessen Zuhause kalt war.
Auf gewisse Art und Weise stimmte es ja: es war tatsächlich zum Teil einem Mädchen zu verschulden, dass Maldwyns Noten ein derartig schlechtes Ausmaß genommen hatten und er immer seltener zum Unterricht erschienen war. Aber das war nicht wirklich das, worauf Melchior hinaus wollte. Er fragte nach einem Mädchen, einer möglichen Freundin - und nicht nach Zenaida, die Maldwyn seit dem ersten Schuljahr regelrecht terrorisierte.
"Ich komm mit."
Keiner der anderen Anwesenden schien überrascht darüber zu sein, wie als könnten sie sich nicht vorstellen, dass Eliyas sich nur anbot, weil er vor Wut schwelte und Maksim auf dem Weg zu Rousseaus Wohnung in den nächstbesten Fluss stürzen wollte.
Polina hatte den elendigen Starrsinn ihrer Mutter geerbt, aber es mangelte ihr an ihrem unverwundbaren Ehrgeiz. Sie war nicht so sanft und lieblich wie ihre Zwillingsschwester, sie war störrisch und faul. Und das bewies sie ihm in lächelnder Dreistigkeit, indem es ihr als erste und einzige der Geschwister gelungen war, den Abschluss in Adamas zu vergeigen.
"Sei vorsichtig, Rousseau"; samtweich, gefährlich, die Stimme lauernd während sich ein Lächeln wie das Zähnefletschen eines in die Ecke gedrängten Tieres auf Eliyas Lippen ausbreitete. "Oder ich erinnere alle daran, wie du im ersten Jahr rumgelaufen bist. Glaub mir, ich hab die von Mami gestrickten Unterhosen nicht vergessen."
Nein, auch Eliyas kroch für eine Schrecksekunde eine grässliche Röte ins Gesicht und seine Lippen pressten sich aufeinander, während Bombalurina ganz langsam ein weißes Bein aus seinem Ärmel schob und sich dann auf seinen Handrücken setzte und etwas Leises zirpte, von wegen ich sag ja, ein bisschen leiser zu sein würde dir schon gut tun, das Eliyas zu überhören beschloss.
Hier sind wir wieder, live für Sie aus dem Stadio Olimpico in Rom. Nach der Halbzeit geht es weiter. Was für eine Show… Bellandi gegen Bellandi. Balthazar schafft es nicht die Enttäuschung seiner Frau zu sehen-, Balthazar ballte die Fäuste in das Handtuch, ehe er es zurückgehangen hatte. Sein vorlautes Familiar wollte ihn heute Abend also wirklich in den Wahnsinn treiben.
Entsprechend hörte er auch in Lissandas Worten keinen beißenden Unterton. Er vermutete einfach, sie vermisste Sofia.
Polina war keine zwei Sekunden im Raum angekommen und von Miss Chavez zu den Stühlen verwiesen worden, als sie sich Maldwyn bereits im Tütü vorstellte, im hübschen Kleid aus Krepp mit Netzüberzug, in sanftem Rosé mit einer Tiara und fein geschwungenem Arm wie ein Bogen, wie der Flügel eines Schwans.
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