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Sie gaben ihm eine Bestimmung, einen Sinn und so fühlte es sich auch mit Alejandros Händen auf seiner Haut an, als würde es endlich einen Sinn machen, warum er diesen Körper überhaupt besaß, warum man ihn in diese Form gedrückt hatte, ihm mehr als die sehnigen Hände gegeben hatte, welche es benötigte, um zu töten, mehr als den nun so rosigen Mund, um den Verstorbenen eine Stimme zu geben.
Er fühlte sich viel zu oft als wäre er nur Rauch in diesem Körper, nur ein ausgedünnter Nebel, welcher sich zwischen die kalten Wände seiner Rippen verirrt hatte und stets drohte, mit dem nächsten Atemzug zu entweichen. Wenn er sich bewegte, dann stets, als würde jemand anderes mit Fäden an ihm ziehen, darüber bestimmen, wie viel Schwung er in seine Schritte legte, ob er die Hand zu einer Faust formte, nach einem Messer griff oder etwas mit den bloßen Fingern zu zerquetschen versuchte.
Jetzt schien es so, als wären es Alejandros Hände, die ihn erst spüren ließen, dass er echt war.
Heute würde es Chiyeol sein, der sein Leben in die Hände des anderen legte, indem er mit ihm weiter über die unsichtbare Grenze des Casinos trat, ungeachtet der Tatsache, dass Alejandro hier jedes Recht darauf hatte, den Byun zur Gänze zu vernichten, ihn in den Flammen seines eigenen Wahns ersticken zu lassen. Noch nie war es dem Künstler so verlockend erschienen, an seiner eigenen Kunst zugrunde zu gehen.
Jedes Wort wurde verschluckt von seinem eigenen Puls, der ihm wie ein Bass in den Ohren lag. Alles, was sich zu seinen Seiten abspielte, sich nicht im direkten Mittelpunkt seines Blickfeldes befand, genau dort, wo der Zerrudo getüncht in den Farben des Lebens stand, verschwamm, als würde es in einer anderen Dimension versinken.
Es war purer Zucker, welcher Chiyeol durch die Adern pulsierte, süßes Glück, in welchem er ertrank, als seine Augen sich auf Alejandro richteten, voller Erwartung. Wie ein Kind, welches darauf wartete, dass man es lobte.
Noch mehr als das liebte er jedoch die Aufmerksamkeit, mit welcher Alejandro ihn im gleichen Zuge bedachte. Tiefes Schwarz, welches sich auf ihn legte, wie Öl, welches nach einer Berührung der Flammen lechzte.
Alejandro war Feuer. Von dem Moment an, in welchem er in Chiyeols Leben getreten war, war er zu der liebsten Flamme des Byuns geworden, nach welcher er immer wieder die Finger ausstreckte, auch wenn es zweifellos bedeutete, sich zu verbrennen.
Niemand würde sich dafür interessieren, was für einen Anzug Pius Mahoney an dem Tag seines Todes getragen hatte.
”Seit wann müssen Geister sich die Zähne putzen?” Das war eine ernsthaft interessierte Frage und mit schief gelegtem Kopf wartete er ihre Antwort ab.
Alejandro Zerrudo hätte es noch nicht einmal gewagt, solch einen Anzug mit der Fingerspitze zu berühren, auch wenn Chiyeol sich davor scheute, ihn als stilvoll zu bezeichnen. Wer sich Tag für Tag in Schwarz hüllte, wollte ihnen sicherlich auch nur etwas Arbeit bei seiner Beerdigung ersparen. Wie zuvorkommend von ihm.
Am liebsten hätte Chiyeol sich mit einem Eimer Farbe überschüttet, als wäre er die Leinwand und Alejandros Hand um seine Kehle, der Daumen, der gegen seine Pulsader drückte, ein Pinsel.
Er war zurückgeblieben in seiner Heimat und so sehr in Vergessenheit geraten, dass nicht einmal eine Hand, die ihm die Kehle zudrückte, Chiyeol daran erinnern konnte, wie es war, um sein eigenes Leben fürchten zu müssen.
”Ertränkst du mich im Waschbecken?” Nur Alejandro war anspruchslos genug, um sich damit zufrieden zu geben, ihre ewige Fehde ausgerechnet auf der geschmacklosesten Herrentoilette von Stellans zu beenden. ”Wenn du mich erwürgen willst, solltest du vielleicht noch etwas üben.”
All diese Dinge gingen verloren in dem Grün, welches Chiyeol einnahm, als wäre es die Farbe der Wut, in welcher er ertrank, als wäre selbst das Blut in seinen Adern grün und so bitter, dass es alles in seinem Inneren aufbegehren ließ.
Es wäre grandios gewesen, all die Fantasien, welche Chiyeol mit in den Schlaf trug wie Gute-Nacht-Geschichten endlich wahr werden zu lassen, doch zugleich … wäre es nicht genug gewesen.
Er nahm Bestellungen auf, gab sie an die anderen Angestellten an der Bar weiter, stellte sich in den Pausen mit ihnen in den Hinterhof zum rauchen und zog dabei über irgendeinen Espen her, der sich seit drei Wochen nicht mehr auf der Arbeit blicken ließ, wobei Chiyeol die Möglichkeit nicht ungenutzt ließ, um das Gerücht zu verbreiten, er habe sich bei einem Besuch in der Goldenen Magnolie etwas eingefangen.
”Ich kann jedenfalls schon sehen, wie du sie dir über dein Bett hängen wirst, oh ja, das wird mir heute Nacht definitiv auch meine Träume versüßen.”
Und weil es immerzu Impulse waren, welchen Chiyeol vollkommen blind folgte, legte er nun für den Bruchteil einer Sekunde seine Hand auf die Wange des anderen, ehe er sich von ihm abwandte und den Auktionssaal verließ.
Das war wirklich schön.” Ihr Wiedersehen, das Gespräch, der kurze Konkurrenzkampf und das Geschenk, welches Alejandro ihm hiermit doch unweigerlich machte. ”Danke.”
Wenn Alejandros zweiter Vorname nachgiebig lautete, so musste Chiyeols bescheiden sein.
”Du kleiner Bastard”, kam es ihm über die Lippen, jedoch ohne die Härte einer Beleidigung, vielmehr spielerisch, als würde es sich dabei um etwas fast schon Liebevolles handeln.
Das Hier und Jetzt, die Realität - wie unerträglich diese für ihn war, wie sehr er daran zugrunde gehen konnte, hatte er zuletzt in seiner Kindheit wahrhaftig zu spüren bekommen, an dem Tag, an welchem er hatte realisieren müssen, auf sich alleine gestellt zu sein, und so war es seit jeher allem voran seine eigene Wirklichkeit, in welcher er lebte.
Hätte man ihn gefragt, hätte er zu seiner Verteidigung wohl etwas darüber geschwafelt, dass auch in der Wahl des gemusterten Wollpullovers mit dem zerknitterten Hemd und dem mit Farbflecken und Flicken versehenen Mantels eine gewisse Kunst lag, und die Tatsache, dass seine Haare augenscheinlich noch nie mit einem Kamm Bekanntschaft geschlossen hatten, ein Akt der Rebellion gegen das System war.
Natürlich hätte er Alejandro einfach hier und jetzt töten und es endlich hinter sich bringen können. Aber nach all dem Warten wollte und konnte Chiyeol sich nicht mit einem derartig schmucklosen Mord zufrieden geben.
Dies war kein Tag für einen Mord, der perfekt zu sein hatte, aber ein Tag, an welchem sich zwei Verräter nebeneinander setzen konnten, als wären sie lediglich ein paar gute Bekannte.
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