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Ein jeder Mensch war eine verwinkelte Stadt, ganz für sich allein. Auf sie konnte man Blicke erhaschen, konnte sie so gut es ging erkunden, lernen sich in ihr zurechtzufinden, aber man würde niemals alles an ihr kennen können. Menschen entzogen sich aufgrund ihrer Komplexität ebenso eines Durchschauens, weil sie nicht statisch waren. Durch die Stadt pumpten sie wie Blutkörperchen, sich stetig wandelnd, und durch den Menschen selbst gingen Welten aus und ein.
Er hatte sich diesen Auftrag nicht ausgesucht, und doch lag dort eine erwartungsvolle Spannung in ihm auf der Lauer; das altbekannte, zeitversetzte Zerren, wie als hätte gerade eben jemand Nicolòs Namen ausgesprochen. Als würde die bloße Erwähnung dieses Namens ein Phantomleben, das sie nie geführt hatten und nie würden, vor seinen Augen heraufbeschwören.
Sein Leib trank den Nebel. Dunkelheit, die an ihm sog, wie ein Kind an der Haut der Mutter, um sich zu wärmen. Arcturus war weit und breit der einzige bewegliche Schatten; der Rest der Welt schien in einem komatösen Schlummer zu liegen.
Spürte er wie kaputt dieser Mann war, der gefühlt nur noch aus Schwarzer Magie und den Intentionen seiner Familie bestand — ein zerbrochener und erzwungen wieder zusammengesetzter Gegenstand; ein Erbstück, sicherlich, aber kein schönes mehr. Zerfurcht von den tausenden Malen, die man diese Vase zu Boden geworfen hatte. Sein Gesicht gab davon nichts preis, aber die Narbe tat es.
Es war nur ein Name, der wie flaumige Daunen über Arcturus’ Lippen fiel. Ein Name, der ihm Zuflucht geboten hatte, während sein Namensträger im Nirgendwo seine Buße getan hatte. Jahre, in denen die Zeit den Kosenamen von seiner Zunge hätte brennen sollen, flogen doch nur vorbei. Alles war anders. Alles war gleich.
Sie müssten ihre Leben noch einmal neu leben, diesmal anders, diesmal ganz bewusst und ohne zu zögern. Arcturus müsste seinen Idealen folgen, bevor sie mit seinem Mut und seiner Liebe in seinem Körper verrotteten.
Denn auch wenn er ihm keine Angst einjagen wollte, wäre es fatal, ihm Sicherheit vorzugaukeln, die nicht existierte. Es käme einem Verrat an dem, was sie einst miteinander geteilt, an ihnen gleich, ihn in diesem Glauben zu wiegen wie ein Kind, das die Wahrheit nicht ertrug.
Hätte er ihn doch nur vergessen können, dann würde sich die Wahrheit dieses Raums, den sie plötzlich wieder miteinander teilen, nicht wie eine Schlinge um Arcturus legen.
”Ich hab mich gefragt, ob du dich verändert hast. Und ich bin froh, dass du es nicht hast - nicht wirklich. Noch immer bist du wie Öl im Feuer. So entsetzlich leicht entzündbar.”
”Du hast mich im Privaten früher auch nicht Van Hoek genannt, ich würde es bevorzugen, wenn du nicht plötzlich damit anfängst.”
Er hegte keinerlei nennenswerte Beziehungen außerhalb des Spinnennetzes, der Arbeit oder seiner eng gewobenen Kreise. Man traf ihn nicht zufällig in einer Bücherei an oder lud ihn spontan zum Kaffeetrinken ein. Er war eine Fußnote dieser Stadt; isoliert vom eigentlichen Text.
Dem Gimondi war es schon immer gelungen, Arcturus einerseits mit nur einem Blick innerlich aufzuwühlen, und ihm andererseits Ketten umzulegen; auch jetzt quälte ihn ein Ziehen in seinem Inneren, das ihn so leidenschaftlich dazu verleiten wollte, seine Hand in Nicolòs Nacken gleiten zu lassen, einen Kuss einzuatmen, sich dieser anderen Art von Leid, so schmerzlich süß, hinzugeben.
Nicolò war gebrandmarkt, konnte weder vor noch zurück. Und doch war er hierher zurückgekehrt – in das Haus seiner Eltern, wie als würde er es darauf anlegen, sich das Backsteingemäuer mit ihrem Zorn zu teilen. Als würde er sich damit selbst verfluchen, sich bestrafen wollen.
Wenn Nicolò den Raum betrat, sah Arcturus nicht auf. Sie grüßten einander nicht, außer man wurde von anderen auf die Gegenwart des anderen hingewiesen. Man tauschte oberflächlich Worte aus, wobei das gespielte Desinteresse wie ein Wettbewerb zwischen ihnen erschien. Manchmal hatten sie dieses Distanzspiel so weit getrieben, dass es unterschwellige Zweifel zwischen sie gestreut hatte – aber niemals für lang, niemals auf Dauer.
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