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Er hatte den Tischler bereits oft genug neue Sorten probieren lassen und dann sein Gesicht auf der Suche nach einer passenden Reaktion studiert. Somit wusste er auch, dass Benjamin Schofield alles trank und nichts hasste, außer wenn Teewasser zu heiß war. Er war ein Banause, was das betraf, und Bär fasste dies nicht länger als Beleidigung auf. Was vermutlich dafür sprach, wie schnell er dem Mann erlaubt hatte, von ihm gemocht zu werden.
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Eine unverfängliche Berührung, die sich doch nicht so anfühlte — nicht einmal für Bär, dessen Pranken doch zum Trösten gemacht waren; so viel weicher, als sie den Anschein machten. Mehr Tatze als Kralle.
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Wie sollte er dem anderen Mann in die Vergangenheit folgen, wenn er doch nicht wirklich verstand, wie massiv das Kriegsgebiet war, dessen Geister aus dem Boden von Schofields Bewusstsein stiegen wie Nebelschwaden aus den Wiesen; wie schwielig und aufgeplatzt die Haut an den Händen war, die sich nach ihm ausstreckten und ihn in seinen Träumen noch erwürgen wollten?
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Bärs Sorgen wurden in seinen Eingeweiden geboren und dort auch zu Grabe gelegt. Er ließ nicht zu, dass sie ihn mehr beeinflussten, als sie es auch so schon hatten. Er konnte sie nicht teilen, nicht mehr seit die Menschen um ihn herum so fragil geworden waren, so empfindsam, und nicht als der Mann, als der er wahrgenommen wurde.
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”Soll ich dir Frühstück ins Bett bringen, Mira? Du musst heute nicht aufstehen. Oh, und zieh dir doch Socken an. Du fängst dir nur noch was ein”, murmelte er schließlich. Wobei er erstaunlich nach Mutter und Vater in einer Person klang; vielleicht hatte er doch endlich den Punkt erreicht, an dem er sich dieser Rolle nicht länger fremd fühlte. Vielleicht war es das, was Angst um das Wohlergehen des Kindes mit einem machte: es gab den letzten, notwendigen Schubs, drückte einen schlussendlich in die Form, von der man befürchtet hatte, man würde nicht in jene hineinpassen.
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Eine Hand hielt Benjamin immer noch umklammert, die andere rieb enge Kreise auf dessen Rücken zur Beruhigung. Wenn er nur noch mehr Hände hätte, würde er Tee herzaubern, doch er wagte es nicht, Benjamin kalt, ohne haltende Hände zurückzulassen, solange jener nach Luft schnappte wie jemand, der leben wollte, unbedingt leben wollte, aber nicht wusste, wie man atmete ohne in seinen eigenen dunkel verrissenen Träumen zu ertrinken.
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Er kannte Gewalt so wie jemand, der von jener aus dem Augenwinkel verfolgt wurde und sich bewusst dazu entschied, weder ihrem Ruf zu folgen, noch sie direkt zu konfrontieren. Er hatte sich in seiner Naivität für Ignoranz entschieden.
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Doch was sollte er jetzt daran ändern? Er konnte schlecht sagen, sie müssten umdrehen und sofort diese Kekse backen; Bär müsste sie backen, um zu sehen, wie sie schmeckten, wenn er sie selber machte.
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Klees zustimmendes Piepsen auf Miras Worte hin, verhinderte jedoch, dass Bär sich noch schrecklich dran aufhalten konnte, auch wenn ihn furchtbare Beilagen zu Tee persönlich mehr als beleidigten.
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Bär hasst es, Besucher zu sein. Nur Gast an einem Ort, in dem seine Kindheitserinnerungen kleben wie Insekten im Baumharz.
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Ein Blick auf Benjamin Schofields Gesicht reichte aus, um diesen Eindruck zu bestätigen. Wobei dessen Augenringe zugegebenermaßen kein ungewöhnlicher Anblick waren. Der Mann sah seit Wochen aus, als hätte er kein Auge zugetan. Obwohl Gabriel ihn nie in einem anderen Zustand erlebt hatte, begann ihn dies langsam aber sicher mit Besorgnis zu erfüllen. Ob Benjamin es als aufdringlich empfinden würde, wenn man ihm einen Schlaftee empfahl? Lavendel, Melisse, Baldrian …
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Aber es war schwer, nein zu Mira zu sagen, wenn nicht sogar unmöglich — Bär wusste das nur zu gut. Ihr einen Wunsch abzuschlagen, war wie freimütig einem Schmetterling die Flügel auszureißen.
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In Bärs gewundenem Denken machte es wenig Sinn, dass er mit einem Mal Sympathie für den vor sich sitzenden Mann empfand, und doch war es so. Die Nervosität des anderen wurde zu seiner eigenen. Seine starre Verhaltenheit spiegelte sich in ihm wieder. Er wünschte, er könnte irgendetwas sagen, das beschwichtigte oder unverwerflich war, aber Bärs Zunge war wie verknotet.
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Und für einen Augenblick sah er selbst überrascht drein, weil ihm klar wurde, dass er das zum ersten Mal gesagt hatte. Meine Tochter. Mira war seine Tochter. Er war ihr Vater.
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Bär bevorzugte das Dasein als stiller See, während der Mann vor ihm schien, als sei er ein schneller Strom, der kleinere wie auch größere Steine mit sich riss und bei schlechtem Wetter anschwoll und über die Ufer lief, alles mit sich reißend.
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