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Aurora Moreno besaß eine Maske, aber Abel Zapatka besaß unzählige Gesichter.
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Als er sie ansah, war ihr, als könne er jeden unter der Haut liegenden Nerv sehen; und das fehlende Lächeln, wenn auch die Mundwinkel vom Alter etwas verkrümmt waren, barg noch immer die gleiche, störrische Herablassung wie damals. Es war diese Herablassung gewesen, dieses Wissen seinerseits, in jedem Raum der intelligenteste Mensch zu sein, die sie unwiderstehlich angezogen hatte.
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Indem sie so handelte, als würde sie sich nicht an Abel erinnern, ebenso wenig wie an sich selbst aus jener Zeit; was war Aurora D’Ambrosio anderes als eine verschwommene Sehnsuchtsgestalt, die sie selbst nicht begreifen konnte? Wenn Gott gnädig mit ihnen beiden war, würde er sie ebenso vergessen haben.
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Im Kinderzimmer war sie nur eine niedergebeugte Silhouette. Ein Schatten, der es gewohnt war, als selbstverständlich abgekartet zu werden und dem dieser Fakt doch nicht schmeckte.
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Sie war über den Kadaver ihrer Ehe gestiegen und am anderen Ende ihrer eigenen Traurigkeit angekommen.
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Sie hatte gedacht, es wäre Wut, die sie niederringen würde, sobald sie ihm wieder gegenüber stand. Aber zu ihrem eigenen Erschrecken, war jeglicher Zorn in ihr verdunstet, nur eine tiefäugige Verbitterung war übrig, die sich trauernd auf sie herabsenkte; ein fallender Himmel.
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Das Licht, das er mit seinem Schatten hereingetragen hatte, umrahmte ihn, als wäre er ein Heiliger. Die Ironie ließ sie innerlich zu einem Lachen ausholen, das doch mehr ein Luftschnappen war, und das zum Glück nicht nach Außen drang, sondern in ihr verborgen blieb wie ein kindisches, mädchenhaftes Geheimnis.
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Sie wünschte sich noch immer, ihr Mann würde sie berühren. Sie wünschte mehr noch, dass nach jeder Berührung die darauffolgende Kälte ausbleiben würde.
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Sie sperrte sich selbst in diesen Moment ein, in dem Frieden zu finden doch unmöglich war. Weil ihr Zuhause nicht länger ein friedlicher Ort war. Jedes Schweigen war ein gezücktes Messer, jedes Wort eine Drohgebärde.
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Der Geschmack ihrer Tränen hatte sich so schwer auf ihrer Zunge festgesetzt, dass nicht einmal die Schärfe des Alkohols ihn fortwaschen konnte. Dafür setzte sich eine Schwere am Grund ihres Körpers ab, wie es nur nach langer Zeit des Weinens möglich war. Wenn die Tränen versiegten und man benommen wieder aus der zerbrechlichen Innenwelt auftauchte; oh, sie sehnte sich nach frischer Luft, und doch blieb das Fenster geschlossen.
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Weil sie schwach war. Schwach und wollend, so wollend, so sehnsüchtig. Sie wollte viel zu viel. Sie war plötzlich wie Margot. Nur dass niemand ihr jemals ihr Verlangen verzeihen würde; sie würde allein im Fegefeuer verschwinden, und nicht einmal Gael würde sie davor retten können, sondern sie nur schneller in die Flammen treten, um sich selbst zu retten.
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Ekel kroch in der Bahn in ihr hoch, und sie wünschte sich mit einem Mal nichts mehr, als in ein heißes Bad zu steigen, so heiß, dass es ihr die Haut von den Knochen brühte. So heiß, dass sie danach ihr Fleisch pellen könnte und Schuppen davon hinter ihr her flögen, wie als wäre sie ein Baum im Frühling, dessen losen Blätter vom Wind aufgewirbelt wurden.
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Benommenheit wusch über sie wie Wasser, lenkte ihr Innerstes um, führte sie wie eine Schlafwandlerin zurück an den Ort ihrer konstanten Demütigung.
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Gael kehrte von der Arbeit nach Hause zurück, anstatt sich nach Argentinien abzusetzen und eine neue Familie mit einer anderen Frau zu gründen, Gael liebte sie.
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Gael hielt den Mund, wenn sie redete, Gael liebte sie.
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Kalt und hart wurden Auroras Augen, je tiefer die Gefühle in ihr rotierten und mahlten, wie eine, wegen eines einzigen Sandkornes, außer Kontrolle geratene Maschinerie. Nur dass Aurora schwieg und schwieg und schwieg, die Augen ein Meer aus Vorwürfen, die linke Hand im verschränkten Arm zur Faust geballt.
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Sie sah engelsgleich und zufrieden aus wie eh und jeh, aber auch wie als wäre ihre Mimik aus Porzellan gefertigt. Ein zu grober Handgriff und sie würde entzwei brechen. Was dahinter zum Vorschein kommen würde, war die Frage - Wut? Traurigkeit? Hysterie? Apathie? Welch andere Gefühle standen ihnen als Frauen eigentlich zu?
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In manchen Momenten jedoch war es, als würde sie nicht nur Margots Bewunderung für sich erfühlen, sondern auch eine seltsame Verachtung, den sie sich tiefer und tiefer wie einen Glassplitter in den Fuß trat und den sie nicht mit bloßem Auge auffinden oder den Verursacher ausfindig machen konnte. Sie spürte nur den haarfeinen, unbequemen Schmerz und betrachtete rätselnd die nackte Sohle.
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Es gab genug übrige Liebe in ihrem Körper, aber jene hervorzurufen kostete zu viel Kraft. In diesem Moment spürte sie, wie sie sich verkehrte, wie aus dem Lächeln eines Kindes eine Fratze wurde, wenn man es auf den Kopf drehte. Das Gegenteil ihrer Liebe war hässlich, aber es war das, was Gael zu spüren verdiente, und, das glaubte sie so langsam zu verstehen, das er eigentlich auch von ihr erwartete.
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Die fein manikürten Nägel nahmen den Zettel, die blasse Hand drückte ihn gegen Joaquins Brust. Jetzt wünschte er sich sicherlich, er wäre längst in der Hölle angekommen, um nicht ihrem gerechten Zorn begegnen zu müssen.
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Sie hätte ihn erdrosseln können, mit eben jener Krawatte, die sie an diesem Morgen liebevoll gebunden hatte. Joaquin Gael Moreno, ihr werter Ehemann und Dorn in ihrem nach Perfektion strebenden Auge, wusste nicht einmal zu schätzen, dass seine Ehefrau nicht ihren gottlosen Impulsen nachgab.
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Perfekt, das war die Ehe mit ihrem Gael. Unvorstellbar, ein Leben ohne ihn. Das Schlimmste war vermutlich, dass sie sich das einerseits einredete und andererseits mit Herz und Seele daran glaubte, ohne sich bewusst zu sein, dass ihr fanatischer Wille, niemals unglücklich zu wirken, sie auch nicht glücklicher machte.
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Sie war immer noch gut darin: im Komprimieren ihrer eigenen Gefühle. Später würden sie hervorplatzen, jetzt ließ sie sich von ihnen die Rippen brechen.
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”Aber es ist auch viel schöner ohne die Männer ständig im Schlepptau, nicht wahr?” Solche Sätze hörte sie öfter, vor allem im Strickclub wurden sie wie ein Mantra rauf und runter gesagt. Aurora fühlte sich nicht so. Sie hätte Gael am liebsten jeden Tag und jede Stunde um sich; sie wollte ihn und nur ihn in ihrer Nähe haben, wollte sich in seiner Brust ein Nest bauen, und sie hätte nichts schöner gefunden als mit ihm einkaufen zu gehen.
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Wenn sie sprach, hatte Aurora das Gefühl, jederzeit würden ihr liebliche Nelkenblüten von den Lippen perlen. Und weil Aurora so fasziniert davon war, würde sie jene auffangen und sich selbst einverleiben. Balthazar Bellandi würde seine Frau sicherlich niemals betrügen, diese glückliche rothaarige Hexe.
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Lächerlich war es natürlich, dies in einem Buchladen zu suchen oder eben bei einem Strickclub, dem man nur beigetreten war, weil man vor Einsamkeit entweder gar nicht oder zu viel schlief, und weil man sogar schon begann, zu tagträumen, der Milchmann würde nicht nur seine Milchflaschen auf den gepflasterten Stufen zur Haustür der Morenos abstellen, sondern klopfen, sie höflichst über den Tisch beugen und bügeln, bis ihr Kopf sich leicht und wattig anfühlte und ihre Glieder matt waren und alle Gedanken weg waren.
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Oh, und natürlich war sie auch froh, dass sich Allegra in den fähigen Armen Jocastas befand, auch wenn sie sich zur gleichen Zeit für diesen Gedanken verachtete und allerlei Rechtfertigungen für dieses gottlose Gefühl der Erleichterung fand, das sie fern vom Bettchen ihrer eigenen Tochter durchflutete. Erleichterung, weil sie nicht länger Schnuller und Kuscheltuch und Nahrungsquelle und Schutz für dieses Bündel war. Weil sie kurz zurück in ihren eigenen Körper fiel und sich zu erinnern versuchte, wie das war. Wie es sein sollte.
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”Ach, im zweiten Jahr! Siehst du, wie die Zeit fliegt. Sicherlich wird Emilio froh sein, in ihr bereits eine Freundin in Adamas zu haben”, überlegte Aurora laut. (Hoffentlich schwängerte er sie nicht.)
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Aber wirklich anwesend war sie wohl kaum, als sie den Herrn priesen, sangen und dann der Liturgie lauschten, plötzlich sowohl wünschend, es wäre bald vorbei als auch würde sich länger ziehen; bis in die Ewigkeit, damit sie nicht den Mann tötete, den sie eigentlich doch liebte. Damit sie nicht die Ehe verlor, die sie seit Jahren am Leben zu erhalten versuchte.
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Konnte er wirklich nicht verstehen, dass sie sich nur ewige Sonntagmorgende wünschte, an denen sie eine heile Familie waren? Selbst wenn sie nur so taten als ob, wäre ihr dies genug, das redete sie sich jedenfalls ein.
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