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Schroff. Das waren die Worte manchmal, wenn sie Cassius' Lippen verließen. Irgendwo zwischen herausfordernder Konfrontation und unhöflicher Direktheit, mit der nicht jeder warmzuwerden wusste. Manch einer fühlte sich davon schnell vor den Kopf gestoßen — eine Wirkung, die, wie Arvin wusste, oft gezielt heraufbeschworen wurde, denn seine Mitmenschen hielt der Shepherd lieber auf kühler Distanz. Möglichst weit weg von sich, bloß nicht zu nah. Doch über die Jahre, die sie einander nun schon kannten, hatten die bedachten und unbedachten verbalen Hiebe ihre Reißzähne eingebüßt. Da zwickte nichts mehr, wenn die Stimme etwas trockener, etwas abweisender wurde. Da war kein Gefühl von Verunsicherung, wenn man sich insgeheim fragte, was man falsch gemacht hatte, um solch eine Reaktion provoziert zu haben.
Noch nie hatte sich der Herbst so lang angefühlt. Noch nie hatte er so wenig Lust auf den Winter verspürt. Er mochte das Gefühl nicht, das da in seiner Brust heranwuchs und auf seine Lunge drückte, wie ein tödliches Geschwür. Es fühlte sich kalt und erdrückend an und gleichzeitig — irgendwie leer. Seine Augen kletterten hinauf zu der dunklen Wolkendecke, die sich über Stellans spannte. Trist. Natürlich.
Doch dann nickte der Mann hinter dem schweren hölzernen Schreibtisch, schlug ein dickes Buch auf, das wie ein stiller Beobachter die Geschichte derer festhielt, die bereits vor ihm hierher gekommen waren, und legte die unterschriebene Zeugenaussage hinein.
Schließlich schob er das Schriftstück zurück über den Tisch, damit der Beamte noch einmal einen prüfenden Blick darauf werfen konnte, der beinahe so lange auf das Geschriebene gerichtet war, dass Arvin sich unweigerlich die Frage stellte, ob er seinen eigenen Namen vielleicht falsch geschrieben hatte.
Es war, als wäre er zwischen zwei Welten gefangen: die sanfte Wärme seiner Mutter, die ihm erlaubte, weich zu sein, und die unnachgiebige Härte seines Vaters, der von ihm verlangte, dass er sich durchsetzte, dass er nie einknickte und Haltung bewahrte.
Er schätzte seine Ruhe und kam alleine ganz gut zurecht, doch er kannte auch das Gefühl der Einsamkeit. Allein unter vielen. Manchmal meinte er, auch in Percys Augen dieses Gefühl erkennen zu können. Ein Trugschluss? Vielleicht. Doch er wusste, dass es auf Dauer nicht gut war, ständig mit den eigenen Gedanken allein zu sein. Irgendwann zerbrach man daran, und Arvin wollte, dass Percy dieses Schicksal erspart blieb.
Also war sein Mitschüler bereits in den Genuss des herrlichen Wetters gekommen? Nun, gut für ihn, das freute Arvin natürlich, nur schienen die Sonnenstrahlen die finsteren Wolken, die sich Percys Gemüt schimpften, nicht wirklich aufgelockert zu haben. Er wirkte immer noch unnahbar und abweisend. Lag das an Arvin? Er hätte jemanden gebraucht, der ihm ein Read the Room-Schild ins Gesicht klatsche oder eine rote Fahne schwenkte, die ihm signalisierte, das er hier schon wieder ein paar unsichtbare Grenzen überschritt, und versuchte Mauern einzureißen, die vielleicht ja doch einen Daseinszweck erfüllten. Beides stand ihm nicht zu, das hatte Percy ihm schon mehr als deutlich gemacht. Warum konnte er es dann nicht einfach gut sein lassen?
Keine Zauberformeln oder Rituale, sondern die Magie des menschlichen Geistes, die Wunder erschuf, wo vorher nur Vorstellungskraft war.
Doch die eigentliche Frage blieb unbeantwortet: Warum war Perseus hier? Arvin konnte sich kaum einen Grund vorstellen, warum sein ehemaliger Mitschüler, den er kaum kannte, nach so vielen Jahren plötzlich im Green Husk auftauchten sollte. Allerdings lag die Antwort möglicherweise auf der Hand. Warum besuchte man ein Geschäft? Vermutlich, um etwas zu kaufen. Diese Logik war unanfechtbar.
Und dennoch – sie waren keine Freunde. Ihre Beziehung war oberflächlich, nicht mehr als das, was man flüchtige Bekannte nennen konnte, die lediglich eine gemeinsame Vergangenheit teilten.
In der Welt der Magier vergaß man schnell, dass die Sinma ihre ganz eigene Form von Zauber besaßen. Maschinen, die fliegen konnten, leuchtende Städte, Apparate, die Bilder und Töne einfingen. Keine Zauberformeln oder Rituale, sondern die Magie des menschlichen Geistes, die Wunder erschuf, wo vorher nur Vorstellungskraft war. Bemerkenswert und eindrucksvoll.
Leere Klassenzimmer hatten wahrlich etwas gespenstisches an sich, selbst dann noch, wenn die tief stehende Sonne das Licht in goldenen Streifen durch die Scheiben warf und die feinen Staubkörner darin tanzten wie tausende kleine Glühwürmchen.
Für jemanden, der dem düsteren Herbst und Winter mit tiefster Beklommenheit entgegensah, kamen bereits die kleinsten Lichtstrahlen einem Hauptgewinn auf dem Rummelplatz gleich.
Sofern die Geschichten einen wahren Kern besaßen und die sprechenden Überbleibsel jenes Mannes nicht mit den Gebrüdern Grimm zu konkurrieren versuchten.
Wäre das Gewohnheitstier ein reales Wesen und nicht nur eine veranschaulichende Umschreibung, dann wäre genau dieses wohl zu seinem Familiar auserkoren worden.
Wenigstens hätte er bei einem Absturztod auf den Klippen eine schöne Aussicht auf das Meer. Gott, er vermisste das Meer.
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