Alle Inplayzitate
Er kannte Gewalt so wie jemand, der von jener aus dem Augenwinkel verfolgt wurde und sich bewusst dazu entschied, weder ihrem Ruf zu folgen, noch sie direkt zu konfrontieren. Er hatte sich in seiner Naivität für Ignoranz entschieden.
Vielleicht hatte er sich einmal zu oft zurück in seine Heimat gewünscht oder zu lange in die Sterne über sich gestarrt, um nicht den Gott zu provozieren, der ihm aufgrund seines nachlässigem Glaubens ohnehin nicht allzu wohlgesinnt gegenüber war.
Der schroffe Ton Schofields fuhr ihm wie eine Hand ins Gesicht, die er jedoch begrüßte. Wie ein Schlag in die Fresse, über den er sich so sehr freute, dass ihm ein breites Grinsen den Mund spaltete und ihm zugleich Tränen in die Augen schossen.
Vielleicht hatte er die ganzen letzten Monate erträumt, hatte sich selbst Margot selbst wieder ins Leben seiner Traumwelt gepflanzt, wie als würde er ein Unkraut (so schön, so giftig für die restliche Flora) in seinem Garten hegen und pflegen und dabei zusehen, wie es nach und nach den Ausblick aus seinem Fenster für sich einnahm und nachts sogar zwischen Fenster und Rahmen die Blütenblätter und Stengel zwängte, danach flehend, dass er es einließ.
Es war als hätte er sich dieses Mal in eine Sprache übersetzt, die Margot verstand. Die Echos klangen in Stürmen: Du kannst uns nicht heilen, du kannst nicht heilen, was du getötet hast. Welche Farbe hatte das Blut in an ihren Händen? In welcher Farbe war ihre Liebe gestorben?
All ihr Flehen, ihre Bestechungsversuche und Verwünschungen waren bei ihm auf Taubheit gestoßen. Ihr nobler, nobler James. Sie hatte gegen sein Pflichtbewusstsein und Ehrgefühl, welche sie manchmal so liebte, verloren. Seine Selbstlosigkeit war ihr Feind geworden und sie hätte sich gewünscht, er wäre mehr Feigling gewesen.
Viele ihrer Ansichten und Glaubenssätze hatte sie mit James abgelegt, sich von ihnen getrennt, obwohl sie in ihr verwachsen waren. Haut über Haut. Mit jeder Häutung war sie wund gewesen, sie trug James Handschrift auf rohem Fleisch.
Maksim gab sich lässig. Lehnte sich gegen einen Holzbalken, verschränkte die Arme vor der Brust. Er erinnerte sie doch mehr an Nikolay als an ihren Vater; erinnerte sie an dessen Bemühtheit, sich ja niemals in die Karten blicken zu lassen.
Denn bereits mit Worten malte er sich Alejandro Zerrudos Tod aus, wie als wäre jener der unausweichliche Höhepunkt einer (sehr erwachsenen) Gutenachtgeschichte.
Chiyeol war seine Schwäche. Zugleich war er der Mensch, vor dem er diesen Fakt am ehesten verbergen sollte.
[...] nur Augen für Chiyeol. Für die Schnelle seines flachen Mundes. Für die klugen, fiebrigen Augen, denen es an Zurückhaltung mangelte. Die immer auf der Suche nach Bestätigung zu sein schienen. Früher hatte er mit ihnen nach Alejandro Ausschau gehalten, als wartete er sein Lachen ab, um in perfekter Harmonie darin einzustimmen. Die einzige Harmonie, die sie einander erlaubt hatten — sonst waren sie, trotz Freundschaft, mehr einander hochschaukelnde Explosionen gewesen. Einer schlimmer als der andere.
Sie hatten beide das Leben nur zu lieben gelernt, indem sie sich an jedem Schlag ins Gesicht aufgeilten. Indem sie von Grund auf erwarteten, wie Anomalien behandelt zu werden, die es abzutöten, auszumerzen galt — wie Viren, die in der Bevölkerung ihr Unwesen trieben. Vor allem in einer Bilderbuchwelt wie jene, die Stellans vorzugaukeln versuchte.
Im Bruchteil von Sekunden betrauerte er sich selbst, betrauerte Chiyeol und Alejandro, wie sie einander beißend den Rücken gestärkt hätten. Betrauerte die Version ihrer selbst, die sich nicht am Ende dieses Moments vermutlich jeweils ein Messer in den Leib stoßen würde.
Er hatte die Oberhand, denn die längste Zeit war es seine Hand an Chiyeols Kehle gewesen. Und er war es, der entschied, wann und ob er ihn losließ. Er war es, der Chiyeol seine gekrächzten Geständnisse aus den Rippen leierte und sich dabei sowohl geschmeichelt fühlte, als auch mit einer alten Bestürzung rang. Mit einer uralten Verletztheit, die ihn ein wenig benommen machte.
Niemand würde sich dafür interessieren, was für einen Anzug Pius Mahoney an dem Tag seines Todes getragen hatte.
Oft genug war es aber auch er selbst gewesen, der sich eine Ohrfeige für einen unangebrachten Spruch eingefangen hatte. Seiner Meinung nach waren es nur Scherze gewesen - fragte man seinen Vater oder Nikolay, dessen Kopf sich sowieso bis zum Anschlag in Czars Hintern befand, war er nichts weiter als respektlos.
”Seit wann müssen Geister sich die Zähne putzen?” Das war eine ernsthaft interessierte Frage und mit schief gelegtem Kopf wartete er ihre Antwort ab.
Seine Augen öffneten sich wieder und fielen auf die Brust des anderen. Die Hände, welche die Knöpfe des weißen Hemdes öffneten, den Stoff aufschlugen und den Abgrund offenbarten, den sie miteinander teilten. Für zwei schrecklich lange Atemzüge betrachtete Nicolò das dunkle Geflecht des anderen, dann beugte er sich nach vorne, über den Tisch und streckte die eigene Hand aus. Vorsichtig, als wäre Arcturus’ Natur so scheu wie die eines Rehs, strich Nicolò über dessen Haut, dann legte er die Handfläche direkt über die Stelle seines Herzens.
Er war zum ertrinken verdammt, auf ewig versunken, ein Mensch gewordenes Atlantis.
”Ich kann meine Hilfe höchstens dabei anbieten, dir dabei zu helfen, deine Kleidung abzulegen. Die wird ja ganz nass.”
Es war ja nicht nur das Haus der Fedorovs, dieses Anwesen in Leningrad, in das sich Dariya Fedorova verkrochen hatte wie eine Königin in ihr Schloss aus Eis, in dem sich ein Lachen wie ein Fluch in der Kirche anfühlte, sondern auch war über ihren Vater zu lachen, verboten. Sicherlich gab es Gesetze dagegen.
Man konnte ihm ein Paar Socken oder einen neuen Schal schenken und er würde sich noch dafür schämen, dass man denken könnte, er würde diese dann auch tragen, als würde nicht jeder andere Mensch auch Socken tragen oder im Winter einen Schal benötigen.
”Ich hoffe, du hasst es, mein Gesicht zu sehen. Für den Rest deines elendigen, armseligen, bemitleidenswerten Lebens werde ich dir im Nacken sitzen. Du wünschst dir meinen Tod? Dann sei nicht so feige, Mann. Tu, was anderen nicht gelungen ist. Pack selber an.”
Vielleicht war Maksim das in diesem Augenblick aber auch egal - er kam so oder so in die Hölle, davon war er längst überzeugt. Wenn er sich nicht sogar bereits in dieser befand. Eine Hölle so groß wie das Anwesen, in welchem er geboren wurde.
Er träumte noch immer in Blau. Nicht einmal der Krieg und sie sandige Hitze am Suezkanal hatten ihm die Farbe von der Netzhaut brennen können. Die Farbe, in der er seit seiner Jugend das Leben sah; Farbe wie gepanschter Himmel und Wasser ohne Tücke; eine Farbe wie Leben aber auch wie der Blues selbst; eine Farbe wie die Melancholie, in die Margot und er gleichermaßen verliebt gewesen waren.
Das Problem war, dass er jeden Fehler, den er in den letzten Tagen gemacht hatte, vor sich aufgefaltet sah. 1. Sich für eine Schicht auf dem Herbstfest einteilen lassen. 2. Mit Zedekiah flirten, anstatt seinen Job gründlich zu machen. 3. Maksim. 4. Seinem Vorgesetzten nicht zu sagen, dass er Zedekiah kannte. 5. Seinem Vorgesetzten nicht zu sagen, dass er kurz vor dem Anschlag mit Zedekiah gesprochen hatte. 6. Auch jetzt noch denken, das wäre alles überhaupt nicht schlimm.
Er konnte einfach nicht glauben, dass ausgerechnet Zedekiah als Verdächtiger vor ihm saß und mit jedem weiteren Wort das bewerkstelligte, was nur den Wenigsten gelang: Eliyas Katz zu beschämen.
Weil's in Vergessenheit geraten ist, wie so manche Worte zwischen den Zeilen
|