Alle Inplayzitate
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Maksim gab sich lässig. Lehnte sich gegen einen Holzbalken, verschränkte die Arme vor der Brust. Er erinnerte sie doch mehr an Nikolay als an ihren Vater; erinnerte sie an dessen Bemühtheit, sich ja niemals in die Karten blicken zu lassen.
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Denn bereits mit Worten malte er sich Alejandro Zerrudos Tod aus, wie als wäre jener der unausweichliche Höhepunkt einer (sehr erwachsenen) Gutenachtgeschichte.
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Chiyeol war seine Schwäche. Zugleich war er der Mensch, vor dem er diesen Fakt am ehesten verbergen sollte.
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[...] nur Augen für Chiyeol. Für die Schnelle seines flachen Mundes. Für die klugen, fiebrigen Augen, denen es an Zurückhaltung mangelte. Die immer auf der Suche nach Bestätigung zu sein schienen. Früher hatte er mit ihnen nach Alejandro Ausschau gehalten, als wartete er sein Lachen ab, um in perfekter Harmonie darin einzustimmen. Die einzige Harmonie, die sie einander erlaubt hatten — sonst waren sie, trotz Freundschaft, mehr einander hochschaukelnde Explosionen gewesen. Einer schlimmer als der andere.
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Sie hatten beide das Leben nur zu lieben gelernt, indem sie sich an jedem Schlag ins Gesicht aufgeilten. Indem sie von Grund auf erwarteten, wie Anomalien behandelt zu werden, die es abzutöten, auszumerzen galt — wie Viren, die in der Bevölkerung ihr Unwesen trieben. Vor allem in einer Bilderbuchwelt wie jene, die Stellans vorzugaukeln versuchte.
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Im Bruchteil von Sekunden betrauerte er sich selbst, betrauerte Chiyeol und Alejandro, wie sie einander beißend den Rücken gestärkt hätten. Betrauerte die Version ihrer selbst, die sich nicht am Ende dieses Moments vermutlich jeweils ein Messer in den Leib stoßen würde.
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Er hatte die Oberhand, denn die längste Zeit war es seine Hand an Chiyeols Kehle gewesen. Und er war es, der entschied, wann und ob er ihn losließ. Er war es, der Chiyeol seine gekrächzten Geständnisse aus den Rippen leierte und sich dabei sowohl geschmeichelt fühlte, als auch mit einer alten Bestürzung rang. Mit einer uralten Verletztheit, die ihn ein wenig benommen machte.
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Niemand würde sich dafür interessieren, was für einen Anzug Pius Mahoney an dem Tag seines Todes getragen hatte.
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Oft genug war es aber auch er selbst gewesen, der sich eine Ohrfeige für einen unangebrachten Spruch eingefangen hatte. Seiner Meinung nach waren es nur Scherze gewesen - fragte man seinen Vater oder Nikolay, dessen Kopf sich sowieso bis zum Anschlag in Czars Hintern befand, war er nichts weiter als respektlos.
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”Seit wann müssen Geister sich die Zähne putzen?” Das war eine ernsthaft interessierte Frage und mit schief gelegtem Kopf wartete er ihre Antwort ab.
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Seine Augen öffneten sich wieder und fielen auf die Brust des anderen. Die Hände, welche die Knöpfe des weißen Hemdes öffneten, den Stoff aufschlugen und den Abgrund offenbarten, den sie miteinander teilten. Für zwei schrecklich lange Atemzüge betrachtete Nicolò das dunkle Geflecht des anderen, dann beugte er sich nach vorne, über den Tisch und streckte die eigene Hand aus. Vorsichtig, als wäre Arcturus’ Natur so scheu wie die eines Rehs, strich Nicolò über dessen Haut, dann legte er die Handfläche direkt über die Stelle seines Herzens.
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Er war zum ertrinken verdammt, auf ewig versunken, ein Mensch gewordenes Atlantis.
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Es war ja nicht nur das Haus der Fedorovs, dieses Anwesen in Leningrad, in das sich Dariya Fedorova verkrochen hatte wie eine Königin in ihr Schloss aus Eis, in dem sich ein Lachen wie ein Fluch in der Kirche anfühlte, sondern auch war über ihren Vater zu lachen, verboten. Sicherlich gab es Gesetze dagegen.
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”Ich hoffe, du hasst es, mein Gesicht zu sehen. Für den Rest deines elendigen, armseligen, bemitleidenswerten Lebens werde ich dir im Nacken sitzen. Du wünschst dir meinen Tod? Dann sei nicht so feige, Mann. Tu, was anderen nicht gelungen ist. Pack selber an.”
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Vielleicht war Maksim das in diesem Augenblick aber auch egal - er kam so oder so in die Hölle, davon war er längst überzeugt. Wenn er sich nicht sogar bereits in dieser befand. Eine Hölle so groß wie das Anwesen, in welchem er geboren wurde.
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Er träumte noch immer in Blau. Nicht einmal der Krieg und sie sandige Hitze am Suezkanal hatten ihm die Farbe von der Netzhaut brennen können. Die Farbe, in der er seit seiner Jugend das Leben sah; Farbe wie gepanschter Himmel und Wasser ohne Tücke; eine Farbe wie Leben aber auch wie der Blues selbst; eine Farbe wie die Melancholie, in die Margot und er gleichermaßen verliebt gewesen waren.
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Das Problem war, dass er jeden Fehler, den er in den letzten Tagen gemacht hatte, vor sich aufgefaltet sah. 1. Sich für eine Schicht auf dem Herbstfest einteilen lassen. 2. Mit Zedekiah flirten, anstatt seinen Job gründlich zu machen. 3. Maksim. 4. Seinem Vorgesetzten nicht zu sagen, dass er Zedekiah kannte. 5. Seinem Vorgesetzten nicht zu sagen, dass er kurz vor dem Anschlag mit Zedekiah gesprochen hatte. 6. Auch jetzt noch denken, das wäre alles überhaupt nicht schlimm.
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Er konnte einfach nicht glauben, dass ausgerechnet Zedekiah als Verdächtiger vor ihm saß und mit jedem weiteren Wort das bewerkstelligte, was nur den Wenigsten gelang: Eliyas Katz zu beschämen.
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Weil's in Vergessenheit geraten ist, wie so manche Worte zwischen den Zeilen
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”Aber es ist auch viel schöner ohne die Männer ständig im Schlepptau, nicht wahr?” Solche Sätze hörte sie öfter, vor allem im Strickclub wurden sie wie ein Mantra rauf und runter gesagt. Aurora fühlte sich nicht so. Sie hätte Gael am liebsten jeden Tag und jede Stunde um sich; sie wollte ihn und nur ihn in ihrer Nähe haben, wollte sich in seiner Brust ein Nest bauen, und sie hätte nichts schöner gefunden als mit ihm einkaufen zu gehen.
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Wenn sie sprach, hatte Aurora das Gefühl, jederzeit würden ihr liebliche Nelkenblüten von den Lippen perlen. Und weil Aurora so fasziniert davon war, würde sie jene auffangen und sich selbst einverleiben. Balthazar Bellandi würde seine Frau sicherlich niemals betrügen, diese glückliche rothaarige Hexe.
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Lächerlich war es natürlich, dies in einem Buchladen zu suchen oder eben bei einem Strickclub, dem man nur beigetreten war, weil man vor Einsamkeit entweder gar nicht oder zu viel schlief, und weil man sogar schon begann, zu tagträumen, der Milchmann würde nicht nur seine Milchflaschen auf den gepflasterten Stufen zur Haustür der Morenos abstellen, sondern klopfen, sie höflichst über den Tisch beugen und bügeln, bis ihr Kopf sich leicht und wattig anfühlte und ihre Glieder matt waren und alle Gedanken weg waren.
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Oh, und natürlich war sie auch froh, dass sich Allegra in den fähigen Armen Jocastas befand, auch wenn sie sich zur gleichen Zeit für diesen Gedanken verachtete und allerlei Rechtfertigungen für dieses gottlose Gefühl der Erleichterung fand, das sie fern vom Bettchen ihrer eigenen Tochter durchflutete. Erleichterung, weil sie nicht länger Schnuller und Kuscheltuch und Nahrungsquelle und Schutz für dieses Bündel war. Weil sie kurz zurück in ihren eigenen Körper fiel und sich zu erinnern versuchte, wie das war. Wie es sein sollte.
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”Ach, im zweiten Jahr! Siehst du, wie die Zeit fliegt. Sicherlich wird Emilio froh sein, in ihr bereits eine Freundin in Adamas zu haben”, überlegte Aurora laut. (Hoffentlich schwängerte er sie nicht.)
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Dieser Wind bedeutete Heimat und Sicherheit, dieser Wind konnte ihn in eine wohlige Nostalgie hüllen oder ihm einen unangenehmen Schauer den Rücken hinab jagen, dieser Wind konnte Geborgenheit und Verachtung in sich tragen. Dieser Wind trug den Namen seiner Mutter.
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Aber wirklich anwesend war sie wohl kaum, als sie den Herrn priesen, sangen und dann der Liturgie lauschten, plötzlich sowohl wünschend, es wäre bald vorbei als auch würde sich länger ziehen; bis in die Ewigkeit, damit sie nicht den Mann tötete, den sie eigentlich doch liebte. Damit sie nicht die Ehe verlor, die sie seit Jahren am Leben zu erhalten versuchte.
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Konnte er wirklich nicht verstehen, dass sie sich nur ewige Sonntagmorgende wünschte, an denen sie eine heile Familie waren? Selbst wenn sie nur so taten als ob, wäre ihr dies genug, das redete sie sich jedenfalls ein.
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Trotzdem war die Stille endlich fort.
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