Alle Inplayzitate
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Es schien das Jahr der neuen Erkenntnisse zu sein. Das Jahr für rückkehrende Erinnerungen, die einem die Wirbelsäule hinabtropften wie Regen; Salz, das sich schwer und duftend in die Poren drückte. Seltsam, wie er ganz genau sagen konnte, wie sich damals ihre Hand in seiner angefühlt hatte - wie schwielig ihm die eigenen Fingerkuppen im Gegensatz zu ihren vorgekommen waren. Wie schüchtern sie beide gewesen waren. Wie Silas sich darüber lustig gemacht hatte, dass sie einander kaum in die Augen sehen konnten und dass Maurice jedes Mal errötete, wenn Evangeline und er sich küssten.
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Sie wäre wie ein Gebet ohne Mund, der es formte. Sie wäre wie ein Lied, von dem niemand mehr wusste, wie die Melodie ging.
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Selbst in Stellans konnte man untergehen. Selbst in Stellans konnte man in den Fugen der Gesellschaft verrinnen wie Dreck, der vom Regen die Rinnen hinabgeschwemmt wurde.
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Noch ironischer, weil es in dieser Straße trotz des Namens keine einzige Kirche gab, aber dafür eine zu eng gebaute Kneipe nach der anderen. Welchen Gott sie hier wohl anbeteten? Vielleicht ja doch den gleichen wie Silas, der die Getränkekarte studierte wie die Bibel, seit er auf einer der schmalen Eckbänke Platz genommen hatte. Welcher Psalm würde ihm heute wohl am besten schmecken?
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Zwei Wochen war länger, als sie das erste Mal, vor so vielen Jahren, als sie noch in Adamas zur Schule gegangen waren, zusammen gewesen waren. Man konnte somit durchaus behaupten, dass es zwischen den beiden Männern ernst wurde.
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Eliyas Katz war wieder verliebt, und er machte dies zu jedermanns Problem, weil was andere als Problem sahen, ihm die purste Freude war.
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Eliyas Katz war verliebt. Und immer wenn er verliebt war, verlor er jedes Gefühl für die Launen der Menschen um sich herum, ging lichterloh auf und verbrannte wie eine Zündkerze; so viel Körper, der bebte und sich wand und wie schwebend dem Himmel angehörte, anstatt am Boden zu heften; und die Süße der Tage wie dichter Wein auf der Zunge.
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Als Verliebter war es, ebenso wie als Geburtstagskind, seine Aufgabe, nervtötend zu sein. Wenn man verliebt und nicht nervig war, verriet man seines Erachtens nach den Geliebten. Man verriet die Beziehung, die in den Anfängen fragil war und durch eine wohlgemeinte Übertreibung beschützt werden musste.
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”Und einladend ist es obendrein. Perfekt, um junge Frauen zu entführen. Du bist nicht zufällig insgeheim ein Blutbaron, der nur eine verlockendere Gestalt angenommen hat, weil er sich für sein lichtes Haar, den blutleeren Teint und die gammeligen Zähne schämt?”, flötete Polina um ihre eigene Nervosität damit von sich zu schütteln , bevor sie sich im Eingangsbereich des Hauses aufrichtete.
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Die Vorzüge erschlossen sich Polina auch im Inneren nicht. Aber immerhin zögerte sie nicht, dem Wölfchen zu folgen, selbst wenn sie kurz vor ihrem inneren Auge die morgigen Schlagzeilen (vermutlich im Falkenkurier abgedruckt) stehen sah: Jüngste Tochter der Fedorov-Dynastie ermordet in verlassenem Haus aufgefunden — ihr Vater würde sie direkt ein zweites Mal umbringen, sollte ihr Tod als Erstes vom Falkenkurier abgedruckt werden; besser, sie starb nicht. Besser, sie starb spektakulärer.
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”Jetzt bin ich also schon dein Rotkäppchen?” Ein Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel, aber in ihren Augen stand vor allem die Gewissheit, die andere ertappt zu haben — nur bei was, wusste Polina Fedorova vermutlich selber nicht. Dafür war sie dann doch nicht weltgewandt genug, sondern bewegte sich noch immer zu sehr im sicheren Kielwasser des eigenen Familiennamens und der Schatten ihrer Geschwister, von denen manche tiefer und manche flacher waren. In einigen könnte man verschwinden; aus den meisten versuchte Polina jedoch verzweifelt herauszuklettern, wie ein Tier aus einem menschgemachten Loch.
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Für jemanden, der dem düsteren Herbst und Winter mit tiefster Beklommenheit entgegensah, kamen bereits die kleinsten Lichtstrahlen einem Hauptgewinn auf dem Rummelplatz gleich.
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Der Schauer lichtete sich, erstarb jedoch nicht völlig und so erweckten die Regentropfen den Anschein, als tauchten sie die Welt kurz in einen Glitzernebel, bevor über der Themse ein blasser Regenbogen zu sehen war, einen Herzschlag lang, zwei, drei und noch einige mehr, bis die nächste Wolke die Düsternis wieder zurückbrachte und der Regen keine Farben mehr malte, sondern stattdessen wieder Kontraste nahm.
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Ich weiß, dass du dich nicht als Held betrachten willst. Auch dafür bist du zu nobel; nur um mir das Herz zu brechen, dafür hast du dir deine Hände schmutzig gemacht.
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Er nickte sogar beflissen, als der Beschnauzerte darüber faselte, er sei Rugby-Spieler. Das erklärte die Beine. Nein, Eliyas hatte ganz sicher nie gesagt, er wolle ein Rugby-Spiel sehen, sondern nur, dass er in ihre Umkleideräume eingeladen werden wollte, aber das sprach er nicht aus, sondern warf Griffith einen langen Blick zu. Blond. Groß. Breitschultrig. Seit wann zog es Ambróis Cassidy zu Maksim Fedorov Doppelgängern hin?
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Schmeichelei und Beleidigung gingen bei ihnen stets Hand in Hand. Und weil sie einander in dieser Hinsicht so ähnlich waren, machte es ihm auch nichts, ihn zu küssen; sie wussten beide, dass dort nichts mehr war, an dem sie hingen. Zu viele Jahre waren ins Land gezogen, zu viele Männer hatten sie einander überlassen oder abgenommen: auch wie Geschenke. Als hätten sie Zwillingsherzen, die sich doch immer an die gleichen Menschen ketteten, meist nie für lange Zeit, denn auch in der Hinsicht waren sie einander so ähnlich geworden, dass es kaum noch vorstellbar war, dass sie einst ein Paar gewesen waren.
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Cillian hatte nicht in James’ Schatten gestanden, um sich vor der Sonne zu schützen, nein, er hatte sich an der Seite des Balfours gewärmt, hatte mit ihm im Licht gebadet und gierig jeden Funken aufgeschnappt, der von seinem besten Freund auf ihn übergeprallt war.
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Er grinste gerade, drauf und dran, den bodenlangen Krepprock zum Schwingen zu bringen, als er den blonden Mann bemerkte, mit köstlichen Locken wie ein Engel, Sommersprossen und Beinen, bei denen Eliyas’ Augen fast verlegen, keusch als wäre das unerhört, beiseite zucken wollten. Aber nicht konnten. Und er wurde zurück angestarrt, jedoch mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, als würde der andere überlegen, ihn hier und jetzt zu Boden zu wrestlen, woraufhin Eliyas vor Vergnügen rot anlief und ihn beschwipst anstrahlte.
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Anniki blickte Arvin ernst entgegen, während ihr Familiar die Zunge ausstreckte, als hätte sie in Arvins Familiar einen Snack für zwischendurch entdeckt.
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Hätte man irgendjemanden zu seiner Schulzeit gefragt, was er einmal werden würde, hätte wohl niemand bei Eliyas Katz auf Excubitor getippt. Eher hätten sie darauf gewettet, ihn an der Flasche hängend in den alten Kneipen herumhängen zu sehen, sich betrinkend, manchmal Gedichte veröffentlichend, ein kleines, schmerzhaftes Leben; eingekartet wie ein verkohltes Herz.
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Nachdenklich sah er, die Bibel unter den Arm geklemmt, weiter zu Silas herab — und lachte leise, verlegen, kaum dass Silas sich wieder über das Orgelspiel beschwerte. Aber Gott vorschob, wie er es in den letzten Jahren immer mehr zu tun pflegte. Wie ein Kind, das sich hinterm Rock der Mutter versteckte. Maurices Herz schwoll an, bis seine Rippen in die Kammern zwickten. Blut wurde gelassen, floss in den Hohlraum seines Körpers, der sich schon immer von Idiotie hatte erweichen lassen.
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Silas hatte noch nie Frieden gebracht, egal wohin er ging — auch jetzt stolperte er zwischen den Bänken entlang, noch im Suff, dafür musste Maurice nicht einmal die Fahne riechen, auch wenn jene so kräftig war, dass sie sich nicht einmal vom alten Muff der Kirche niederringen ließ. ” Sieht mir weder nach Bibliothek noch nach Kneipe aus”, murmelte Maurice; absichtlich die Stimme senkend.
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Er sah, wie kaputt sich der Mann machte, dessen Gesicht von schneidig zu hager wie ein Ledergürtel um schmale Hüften geworden war. Wie er sich seinem eigenen Wahn angepasst hatte und doch noch immer mit seiner Persönlichkeit mehr Schwung, mehr Leben verströmte als Maurice, dessen Wellen kleiner schlugen. In dessen Herz die ganze Welt passte, aber der sie dann mit dröger Alltäglichkeit, mit seinem Charakter, der nach Ordnung und Ruhe und Friedfertigkeit strebte, erstickte.
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Heloise, die zwischen ihnen stand, obwohl sie seit vielen Jahren Stellans fernblieb. Sie, auf die sich all ihre Sehnsüchte einst zentriert hatten, war nicht länger Dreh- und Angelpunkt der Freundschaft zwischen Silas und Maurice. Und wenn sie es doch war, erklärte es, warum sie vollkommen außer Kontrolle geraten waren. Warum Maurice sich fühlte, als würde er auf einem Tandem sitzen, strampeln und strampeln aber nicht vorankommen, weil Silas seine verfluchten Hacken in den Boden gerammt hatte und alles daran setzte, ihre Reise zu sabotieren. Sich selbst zu sabotieren, das war das eine; aber Maurice gleich mitzunehmen, sollte unverzeihlich sein.
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Was blieb ihm auch anderes übrig? Er könnte hier draußen stehen bleiben und darauf warten, dass er eins mit dem Sand zu seinen Füßen wurde. Oder er könnte nach drinnen gehen und mit Lidia Aeterna sprechen. Ein dazwischen, eine andere Wahl, gab es nicht für ihn.
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Tüchtig und demütig. Hätte man Silas nun darum gebeten, ein paar Psalme aufzusagen, wären sie ihm mit Sicherheit alle entfallen.
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Gott war überall. Seinen Blicken entging nichts, auch wenn es vermutlich für sie alle besser wäre, wenn er zumindest manchmal die Augen verschließen würde.
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Bärs Sorgen wurden in seinen Eingeweiden geboren und dort auch zu Grabe gelegt. Er ließ nicht zu, dass sie ihn mehr beeinflussten, als sie es auch so schon hatten. Er konnte sie nicht teilen, nicht mehr seit die Menschen um ihn herum so fragil geworden waren, so empfindsam, und nicht als der Mann, als der er wahrgenommen wurde.
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Wo Maurice gleichermaßen Können wie auch Sanftheit bewies, war Silas schon immer grob und unachtsam gewesen - was auch erklärte, warum ein paar der Tasten mit ihrem strahlenden Weiß vollkommen fehl platziert in dieser Kirche erschienen.
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Perfekt, das war die Ehe mit ihrem Gael. Unvorstellbar, ein Leben ohne ihn. Das Schlimmste war vermutlich, dass sie sich das einerseits einredete und andererseits mit Herz und Seele daran glaubte, ohne sich bewusst zu sein, dass ihr fanatischer Wille, niemals unglücklich zu wirken, sie auch nicht glücklicher machte.
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