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Ambróis fand schneller als jeder andere Mensch in einem Raum voller ihm unbekannter Menschen Freunde. Ambróis konnte einem sogar, wenn man ihn gerade mal fünf Minuten kannte, das Gefühl geben, er wäre der einzige Mensch auf Erden, der einen verstand. Er sprühte vor Charme und schien sich immer zu seinen eigenen Gunsten aus jeder Situation zu winden und dabei niemals das Gesicht zu verlieren.
Ambróis sehnte sich danach, dass Eliyas sich miserabel fühlte, so wie er sich damals miserabel gefühlt hatte, und so waren es nun salzige Tränen, die er sich aus den Augenwinkeln presste, während er Eliyas ansah, als wäre jener seine einzige Rettung.
Das Kasino erstrahlte wie ein Juwel, eine Symphonie aus Licht und Farben, die ihre schillernden Strahlen in die feuchte Nacht warfen. Menschen flanierten durch den Eingang, ihre Kleidung ein Gemisch Seide, Brokat und Perlen. Einige wirkten wie aus einem alten Gemälde entsprungen, mit hohen Kragen und schweren Mänteln, während andere mit kunstvoller Leichtigkeit die Mode der Reichen und Wagemutigen trugen. Ihre Schritte waren sicher, ihre Bewegungen mühelos, als gehörte der Glanz des Rainbow Road zu ihnen wie ein Teil ihrer Haut.
Der Gedanke, jemanden in ihre Beziehung einzuladen, sei es auch nur für eine Nacht, war nicht abwegig – außer natürlich, wenn man bedachte, dass sie laut Eliyas keine Beziehung mehr führten.
”You are special to me. I just … what I want to say is that I think we should maybe give each other a chance to miss the other person.” Er druckst immer noch herum, sein Gesicht vor Schuldbewusstsein vom Cassidy abgewandt. Er merkt selbst, wie blöd er sich anstellt. ”You know what I’m trying to say, Ambróis. Don’t you?”
Es wäre anders, wenn er wüsste, warum genau sie hier sind und was es ist, was Eliyas so tun lässt, als hätte Ambróis ihn in den vergangenen Wochen nicht alles gegeben, wonach er sich gesehnt hat. Aber die Vorstellung, dass es plötzlich Eliyas ist, der ihrer befristeten Zeit miteinander ein Ende setzt, erscheint Ambróis so abwegig, dass der Gedanke sich nicht zur Gänze formen kann. Oder eher ist es sein Ego, welches sich dagegen sträubt, ihm eine Form zu geben.
”You could’ve just written to me that you were sick, so I would’ve come by to take care of you. I make a mean soup, you know.” Wenn sie ehrlich wären, würde Eliyas ihm nun sagen, dass er nicht wirklich krank war, und Ambróis würde zugeben, dass er reichlich wenig Interesse daran hatte, Krankenpfleger zu spielen.
Manchmal fragte er sich, ob er das mit Gott falsch verstanden hatte, ob allen klar war, dass er nicht existierte, und es sich dabei von Anfang an um ein Spiel gehandelt hatte, welchem sie sich alle widmeten, weil sie sonst nicht wussten, wohin mit sich. Ihr Glaube hatte keine Bedeutung, er war lediglich ein Zeitvertreib. War es mit dem Krieg dann ähnlich, war dieser nichts weiter als ein dummer, tödlicher Zeitvertreib?
Mit der Zeit war sein Glaube an Bedeutung genauso erstickt wie sein Glaube an Gott, auch wenn ihn dies nie vom Beten abgehalten hatte, ihn in seiner Verzweiflung vielmehr noch weiter angetrieben hatte, immerzu ein Flehen darum, dass man ihn eines Besseren belehren würde.
Er hatte mehr Angst als alles andere davor, das Falsche zu sagen, dabei sagte er schon seit ganzes Leben lang ständig, und ohne sich davon betrüben zu lassen, das Falsche. Es war im Grunde ein markanter Charakterzug von ihm, alle Fettnäpfchen mitzunehmen und dann schmollend so zu tun, als wäre nichts davon beabsichtigt gewesen.
Die fein manikürten Nägel nahmen den Zettel, die blasse Hand drückte ihn gegen Joaquins Brust. Jetzt wünschte er sich sicherlich, er wäre längst in der Hölle angekommen, um nicht ihrem gerechten Zorn begegnen zu müssen.
Sie hätte ihn erdrosseln können, mit eben jener Krawatte, die sie an diesem Morgen liebevoll gebunden hatte. Joaquin Gael Moreno, ihr werter Ehemann und Dorn in ihrem nach Perfektion strebenden Auge, wusste nicht einmal zu schätzen, dass seine Ehefrau nicht ihren gottlosen Impulsen nachgab.
Maldwyn kannte dieses Gefühl des Geduldet werden, es war ihm so eingraviert wie kein anderes, versteckte sich in dem blassen Muttermal an seinem Hals, dem seichten Anschein von Sommersprossen auf seiner Nase. Dieses Gefühl hatte ihn großgezogen, saß fest verankert in den Wänden seiner Kindheit, war eins mit dem Namen Bonfe, der manchmal wie ein schlechtes Omen über ihm hing.
Dafür fühlten sich seine Beine, nein, sein gesamter Körper noch immer zu fremd an, als wäre er nur ein Gast, der gerade so geduldet wurde.
Humor. Humor war gut, Humor war sicher. Solange sie lachten, schrien sie sich nicht an — oder flennten, in Heynes Fall.
Für Maksim schmeckte Nähe metallisch, war eng verbunden mit dem pulsierenden Schmerz einer aufgeplatzten Lippe, der belebend und betäubend zugleich war. Wenn er Zuflucht suchte, dann im Chaos einer Schlägerei, nie in den Armen einer anderen Person, selbst wenn es so nur weitere Zerstörung war, welcher er sich aussetzte.
Aufgeplatzte Fingerknöcheln. Ein Netz aus Striemen und verblassenden Narben. Blau, Grün, Violett auf der Haut. Blut, dass aus der Nase über die Lippen quoll; über das Kinn lief, auf das Hemd tropfte, den weißen Stoff vielleicht für immer verfärbte. Das war es, was Maksim vertraut war. Seine Hände waren wie dafür gemacht, sich zu Fäusten zu ballen und um sich zu schlagen.
Fragte man ihn, dann ja, befand er sich in letzter Zeit auf einer Achterbahn buntester Gefühle, die ihn mit chronischem Bauchschmerz und Schwindelgefühl zurückließ. Aber am Ende jeder Fahrt hatte er immer einen Bausch Zuckerwatte in der Hand und obwohl er geweint hatte, lächelte er und sagte: noch mal, bitte!
Deswegen schob man doch immer Erklärungen hinzu, sagte: Ach, auf der Arbeit ist es so stressig gerade und Meine Mutter schon wieder, du weißt doch, wie sie ist! Man betonte, wie viel lieber man sich mit seinen Freunden getroffen hätte, aber eigentlich sagte man damit nur: du darfst mir nicht böse sein, denn ich leide.
„Back in the tent you looked at me as if you thought I was water that you either needed to drink or need to get as far away from as possible. But you can‘t touch me without trembling, and you hold me as if you‘re afraid of the simple act of it.“
”I’m not shy!” Aber wählerisch, das war er ganz bestimmt, andernfalls hätte er sein Herz vielleicht doch schon anderen in die Hände gelegt und nicht bei jeder noch so flüchtigen Begegnung doch eigentlich fast immer nach den gleichen Dingen gesucht: dunkles Haar, ein spitzbübisches Grinsen, mit Grübchen, in welche man die Finger bohren wollte.
Bereits jetzt verzweifelte er daran, was er an diesem Tisch sagen sollte, fühlte sich erschlagen, von der plötzlichen Verantwortung, welche man auf diesem Platz von ihm verlangte. In seiner Vorstellung war es eine eiserne Stille, welche an diesem Tisch herrschte, und Maksim war es, der von jener erdrückt werden würde.
”And I never thought sleeping with women was lovely, but I’m glad at least you had your fun.” Wie ein eingesperrtes Tier trat er um sich, nun, wo er keinen Ausweg mehr fand. ”Do you think sleeping with Ambróis would help me too to make any sense to this? Does he have some kind of all-knowing magic dick?”
Sich zu verlieben, längeres, ernsthaftes Interesse für jemanden zu entwickeln oder gar Gefallen an diesen Begegnungen zu finden, die sich doch in erster Linie immer nur wie eine Notwendigkeit angefühlt hatten, war Maksim nicht in den Sinn gekommen. Nicht, bis er eine Kostprobe davon bekommen hatte, wie es sich anfühlte, Eliyas zu küssen. Wie anders das war, sich wahrhaftig danach zu sehnen, und wie erniedrigend zugleich, weil seine eigenen Wünsche schon immer das für ihn gewesen waren - erniedrigend. Nein, das konnte er nicht aussprechen.
In seinen Freundschaften war Maksim wie ein Fels in der Brandung, und in seinen Ansichten konnte er verbohrt und manchmal etwas eigenartig eingestaubt sein, wie als würden obskure Traditionen seines Familienstammbaums ihn so handeln lassen, wie er eben nun einmal handelte. Aber wenn es um Gefühle ging, kam sich Eliyas nicht zum ersten Mal vor, wie als würde er nach zu viel verlangen, würde nehmen und nehmen und selbst nichts geben.
Er verbat es sich, den Eliyas, der Maksim jahrelang heimlich geliebt hatte, in diese Konversation einzuladen. Er schützte ihn, indem er ihn von sich abspaltete, sich in eine Gewissheit hüllte, die doch alsbald von Maksim selbst zerschlagen wurde.
„You‘re not interested in men“, brach es ungläubig aus ihm hervor. „But clearly I am one.“
Wenn er schrieb, war es nicht länger so sortiert und von Idealen getrieben wie früher, sondern manisch, konfus, wie als würde ihm ein zweites, verderbtes Herz wachsen, das alle Sehnsüchte und Gefühle ausspuckte, sich selbst zerfetzte und zwischen die Zeilen drückte. Er schrieb Fetzen auf, die keinen Sinn mehr ergaben, und jegliche Worte, die er einst gemocht hatte, wurden nun von ihm gestrichen, tausendfach übermalt von Tinte, zerschnipselt von Scheren, durchgekratzt von Grafit.
„Du bist auch nicht recht viel sportlicher“, murmelte Heyne also stattdessen, während er sich von Charlie, der in Thema Herzlichkeit vermutlich jeder alten nach Mottenkugeln riechenden Tante Konkurrenz leisten konnte, durchschütteln ließ.
Zugleich sehnte er sich seit Anbeginn danach, lauter zu sein, nicht nur ein Flüstern, zwischen kristallenen Kronleuchtern und sich drehenden Spieltischen.
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