Alle Inplayzitate
Maksim Fedorov war hingegen schön, weil er stark war und Sicherheit bot und weil er nun einmal einen Namen hatte, während der von Eliyas wie entliehen wirkte, unwichtig im Vergleich zu dem seinen. Für Eliyas war er natürlich auch noch schön, weil seine Hände schön waren. Weil Eliyas gern die Worte wäre, die Maksim schrieb. Weil er gern der beste Freund sein wollte, den Maksim verdiente, und den Eliyas ihm mit seinem Verhalten nur immer und immer wieder vorenthielt.
Für Chiyeol waren die Narben wunderschön, für Alejandro waren sie einerlei. Ballast, den er trug, über den er sich nur beschwerte, wenn die Schmerzen Überhand nahmen. Der Profit, den er aus ihnen zog, war zu groß, um ihre Anwesenheit zu beweinen. Aber noch nie war er so zufrieden mit den Narben gewesen, wie in dem Moment, als Chiyeol sie berührte und mit seinem verräterischen Lob und seinen schmutzigen Händen zu geweihtem Boden machte.
Müsste er einem Menschen seinen Untergang anvertrauen, dann wäre dieser Mensch Chiyeol Byun.
Sie hätte das Rotkäppchen nicht herbringen müssen, sie einfach im Wald zurücklassen oder den Weg nach Hause zeigen können, doch irgendeine innere Stimme hatte sich nach Gesellschaft gesehnt, so bizarr und traurig dieser Umstand auch sein mochte. Manchmal brauchte man mehr als die eigenen Gedanken, die Stimme des Familiars und die Wörter völlig fremder auf den Seiten eines Buches um bei Verstand zu bleiben.
Die Narben an seinen Armen waren noch dünn, nur Ausläufer des Gewebes, das sich über seine Schulten spannte, von links und rechts langsam aber sicher wie Hände über seine Rippen zu wachsen begann. ”What about my art? Does it appall you?”, raunte Alejandro. Mit einer Hand betastete er beiläufig eine der zwiebelnden nekrotischen Narben an seiner Rippe, bevor er eine Hand nach Chiyeol ausstreckte, dem Künstler, dessen Finger er auf sich wissen wollte.
Heute würde es Chiyeol sein, der sein Leben in die Hände des anderen legte, indem er mit ihm weiter über die unsichtbare Grenze des Casinos trat, ungeachtet der Tatsache, dass Alejandro hier jedes Recht darauf hatte, den Byun zur Gänze zu vernichten, ihn in den Flammen seines eigenen Wahns ersticken zu lassen. Noch nie war es dem Künstler so verlockend erschienen, an seiner eigenen Kunst zugrunde zu gehen.
Er hatte den Tischler bereits oft genug neue Sorten probieren lassen und dann sein Gesicht auf der Suche nach einer passenden Reaktion studiert. Somit wusste er auch, dass Benjamin Schofield alles trank und nichts hasste, außer wenn Teewasser zu heiß war. Er war ein Banause, was das betraf, und Bär fasste dies nicht länger als Beleidigung auf. Was vermutlich dafür sprach, wie schnell er dem Mann erlaubt hatte, von ihm gemocht zu werden.
Der Krieg war vorbei und er war es auch nicht, weil es keinen Unterschied zu machen schien, dass Benjamin sowohl ihn als auch Kairo und die abscheuliche Uniform hinter sich gelassen hatte - er konnte sie noch immer spüren, als hätte sie sich in sein Wesen gebrannt, als wäre das eine nicht mehr vom anderen zu trennen, als würde es nicht mehr den Krieg dort draußen und ihn hier drinnen geben, sondern nur noch Benjamin und der Krieg.
Eine unverfängliche Berührung, die sich doch nicht so anfühlte — nicht einmal für Bär, dessen Pranken doch zum Trösten gemacht waren; so viel weicher, als sie den Anschein machten. Mehr Tatze als Kralle.
Wie sollte er dem anderen Mann in die Vergangenheit folgen, wenn er doch nicht wirklich verstand, wie massiv das Kriegsgebiet war, dessen Geister aus dem Boden von Schofields Bewusstsein stiegen wie Nebelschwaden aus den Wiesen; wie schwielig und aufgeplatzt die Haut an den Händen war, die sich nach ihm ausstreckten und ihn in seinen Träumen noch erwürgen wollten?
Er schätzte seine Ruhe und kam alleine ganz gut zurecht, doch er kannte auch das Gefühl der Einsamkeit. Allein unter vielen. Manchmal meinte er, auch in Percys Augen dieses Gefühl erkennen zu können. Ein Trugschluss? Vielleicht. Doch er wusste, dass es auf Dauer nicht gut war, ständig mit den eigenen Gedanken allein zu sein. Irgendwann zerbrach man daran, und Arvin wollte, dass Percy dieses Schicksal erspart blieb.
Also war sein Mitschüler bereits in den Genuss des herrlichen Wetters gekommen? Nun, gut für ihn, das freute Arvin natürlich, nur schienen die Sonnenstrahlen die finsteren Wolken, die sich Percys Gemüt schimpften, nicht wirklich aufgelockert zu haben. Er wirkte immer noch unnahbar und abweisend. Lag das an Arvin? Er hätte jemanden gebraucht, der ihm ein Read the Room-Schild ins Gesicht klatsche oder eine rote Fahne schwenkte, die ihm signalisierte, das er hier schon wieder ein paar unsichtbare Grenzen überschritt, und versuchte Mauern einzureißen, die vielleicht ja doch einen Daseinszweck erfüllten. Beides stand ihm nicht zu, das hatte Percy ihm schon mehr als deutlich gemacht. Warum konnte er es dann nicht einfach gut sein lassen?
Bedeutete es, dass er Davin vergaß? Das die Erinnerung an seinen Bruder langsam aber sicher an Bedeutung verlor und verblasste, unwiederbringlich, wie die mit Tinte gefüllten Seiten eines Buches, das man im Regen vergaß?
Es hatte einen Grund, warum er sich gegen die Schönheit der Welt sperrte, ob sie nun in Form von Kunst, wie Musik, zu ihm kam, in Form von Naturphänomenen, wie einem Regenbogen… oder in Form von Menschen.
Eliyas, wie er von seinem niedrigen Feldbett auf die Knie sank, die Hände auf Maksims Schenkeln ablegend, ihn betrachtend wie jemanden, den er zum ersten Mal sah. ”Do you honestly think I could hate you?”, flüsterte er. Schob die Hand in seinen Nacken, so scheu und doch sicher, so viel langsamer als im Dunkeln, als er Maksim vor Wochen auf die Wange geküsst und geglaubt hatte, ihre Freundschaft zu zerstören. Wie seltsam, das nun brechen zu sehen, dieses Bild, das er von sich, von ihm, von ihnen gehabt hatte. Sich in das Neue nicht zu stürzen, sondern Maksim so sanft zu küssen, als kenne er keine Angst.
”I am an idiot but you’re even worse.” Er wischte sich mit den Händen flach über das Gesicht, wie als würde er es aufwecken, die betäubende Kälte vertreiben wollen. ”Do you really think I hate you? Despise you? For doing something I’ve longed to do for an eternity?”
Keine Zauberformeln oder Rituale, sondern die Magie des menschlichen Geistes, die Wunder erschuf, wo vorher nur Vorstellungskraft war.
”You didn’t destroy our friendship”, fing er nun langsam an und für einen Moment sah er sich zwischen all den Briefen stehen, die er doch nie abgeschickt hatte.
”Whatever has happened or should happen going forth, please don’t let my lapse in judgment destroy our friendship. I don’t want to lose you because of my so very common and preventable idiocy, Maksim.” Sanft nahm er seinen Namen in den Mund. Regelrecht bettelnd, dass der andere nicht so reagierte, wie er es all die Jahre befürchtet hatte: mit Abscheu, an der, da war sich Eliyas sicher, er zugrunde gehen würde.
Aber vielleicht war Sloan in dem Fall clever genug, sich herzuleiten, dass er stets auf die Zaubereihistoriker:in hinabblicken würde. Was zugegeben reicht einfach war, denn Sloan war sehr klein.
Ravi hatte Brechdurchfall. Er hatte eine leidenschaftliche Affäre begonnen. Oder er hatte sich in den Welten von Seleya Sunfields Schundromanen verloren und verbrachte das Wochenende am Kamin mit einer warmen Decke über den Beinen, während er mit irgendeiner 40-Jährigen Eisdielenbesitzerin mitfieberte, die gerade ihren zweiten Frühling erlebte.
Er war sich nicht sicher, was es war, was er dort hörte. Erst entschuldigte er sich, dann Eliyas, dann fuhren ihre Sätze ineinander, als würden sie sich gegenseitig bekriegen, obwohl sie fast das Gleiche sagten; obwohl sie sich beide dem anderen beugten, was für sie eine Prämiere ohnegleichen sein musste. Über zwanzig Jahre Freundschaft und sie hatten sich noch nie dermaßen beeilt, sich als Erster zu entschuldigen.
Ein einziger Kuss, den er selbst zehn Jahre später noch auf seiner Wange brennen spüren konnte, hatte sie aus dem Gleichgewicht gebracht, und es war wieder ein Kuss gewesen, mit welchem Maksim den Untergang ihrer Freundschaft besiegelt hatte, als hätte er es nicht besser wissen müssen, als Eliyas an sich zu ziehen und ihm seine Lippen aufzuzwingen.
Eliyas ekelte sich vor ihm. Mit jedem falschen Lächeln bewies er dies Maksim, mit jedem ungeschickten Witz rieb er es dem Fedorov noch einmal unter die Nase, mit jedem Mal, dass er Frédéric, Heyne und Oleander in eine Umarmung zog, aber nicht Maksim, niemals Maksim, als müsste er befürchten, sich etwas widerwärtiges einzufangen, wenn sich auch nur ihre Arme berührten. So war es schon immer gewesen.
Eliyas genügte sich damit, dankbar dafür zu sein, und jedes Mal wenn doch Verständnislosigkeit für Maksims Verhalten in ihm hochkochte, sagte er sich, dass er nur die Reaktionen bekam, die er verdiente. Dass Maksim vermutlich selbst nicht wusste, woran sie waren. Dass Eliyas ihm nur klar machen musste, dass sich nichts verändert hatte, damit es ihnen beiden wieder gut ging. Freunde für immer; nichts konnte das zerstören.
In diesem Fall wollte Eliyas jedoch nicht beschützt werden. Er wollte nur die Uhr zurückdrehen; und deswegen war das Stürzen in Ambróis’ Arme so leicht gewesen, wie als wäre es dem natürlichen Lauf der Dinge entsprechend. Vorbestimmt sogar. Denn wie drehte man am ehesten die Zeit zurück, wenn nicht indem man sich einer alten Liebe zuwandte? Selbst wenn jene so süß war, dass sie schnell verrotten würde; ein Fakt, den insbesondere Rousseau ihn nicht vergessen ließ.
Die Wahrheit war doch, dass Eliyas Maksim kannte und sehr genau wusste, dass dieser nicht über den Kuss würde reden wollen. Selbst wenn der Mann etwas anderes behauptete, glaubte er immer noch, Eliyas beschützen zu müssen, sogar vor ihm und vor sich selbst.
Diese hatte ihren Mantel geöffnet und präsentierte - wem auch immer, vermutlich Abel, Gott oder dem heiligen Geist - ein tiefes Dekolleté. Abel wünschte sich von seinem Bruder, dass dieser von seinem Altar auf die Brüste seiner Begleitung einen ebenso herausragenden Blick hatte, dann würde für ihn die Zeit hier sicherlich auch schneller verstreichen.
Silas sah schrecklich aus. Augenringe, Bartstoppeln. Er war blass, die dunklen Locken unfrisiert. Zwar war er noch nie eine besondere Augenweide gewesen, aber kränklich und fragil war Abel wenn dann ihre Schwester erschienen.
Sie hatten eine fabelhafte Nacht verbracht; ihre Schwüre und Flüche - sie hatte hauptsächlich portugiesisch gesprochen, deswegen konnte Abel nicht mit Gewissheit sagen, ob sie ihn nicht auch einen ringelschwänzigen Eber genannt hatte - klangen noch genauso nach, wie ihre Küsse, wie das Gefühl und der Geschmack ihrer Haut. Zusätzlich war Abel noch etwas angesoffen - zusammen ergab das eine gefährliche Kombination, die ihn zu herausragenden Ideen provozierte. Wie etwa dieser: Mit einer Hure zu dem Gottesdienst seines Brudes zu gehen.
|