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[...] was vermutlich daran lag, dass ihr Hauptaugenmerk noch immer auf dem massiven Koffer lag, den sie nun fleißig zu befüllen begann. Zwei Hosen, zwei Hemden, Socken, Sockenhalter für die strammen Waden, ein Westchen, eine Fliege, nein, doch lieber eine Krawatte … Nicht zu vergessen die zwölf Unterhosen, falls du plötzlich inkontinent wirst, warf der Kleine Lord sehr hilfreich ein.
Mit einem Seufzen schüttete sie das Champagnerglas ihre Kehle hinunter und bediente sich bei den Getränken ebenso erneut wie selbst Agnessa, die wohl dachte, am Grund ihres Sektglases sah es prickelnder aus als hier in diesem Raum.
Sofern sie überhaupt auf ihre Briefe reagierte, waren es nur Absagen, welche sie ihnen zukommen ließ, als wären sie nicht ihre Geschwister sondern eine Werbe-Firma, die nicht aufhören konnte, ihr die neusten Waschmaschinen andrehen zu wollen.
Das Leben in der Bruchbude entsprang ihren politischen Ansichten von Besitz und Kapital, doch womöglich, tief verborgen sprach es auch dafür, dass sie nicht glaubte etwas Besseres verdient zu haben.
Das war keine Probe Gottes, welche man ihm auferlegt hatte, denn sie wussten alle, dass er versagen würde. Es war ein Spiel zu seinem Vergnügen, in welchem Silas die Hauptrolle des Hofnarren einnahm. Gott war nicht nur wütend auf ihn, er machte sich über ihn lustig.
Ihre Welt war zum Brennen bestimmt. Die Geschichte hatte ihnen dies immer wieder in Erinnerung gerufen, hatte sie mit Kriegen und Katastrophen einen Blick darauf werfen lassen, wie ihr Ende aussehen würde. Nur wann genau jenes Ende endlich kommen würde, verriet ihnen weder die Vergangenheit noch Gott.
Das Mädchen hatte ein Talent dafür, entweder messerscharf zu sein – ganz so wie die Klinge auf ihrem Kopfkissen, dass drohend und gefährlich dort ruhte, bis sich Virginia entschieden hatte, was sie tun wollte – oder aber seltsam an den Fragen vorbeizugleiten, als würde sie sich wie ein stabiler Bambusstock biegen. Nicht komplett am Thema vorbei, aber auch nicht ganz passend, flexibel und biegsam, so sehr parallel, als würde sie doch noch ins Schwarze treffen können.
Arvin, der Waldschrat, würde ihn in die Metropole Londons begleiten.
”Ich war immer nett zu Hühnern”, fing er leise an, den Blick nicht von dem Tier lösend. ”Ich schwöre, ich hab noch keinem Huhn auch nur ein Haar gekrümmt … Okay, vielleicht hab ich mal Hühnchen gegessen, aber das war ein Versehen und wird nie wieder passieren, ich verspreche es!”
Ob er dem Excubitoren Selenas Nachnamen nennen konnte? Aber natürlich, wer wäre er denn, wenn er noch nicht einmal wissen würde, wie der Nachname seiner besten Freundin lautete?! Voller Selbstbewusstsein reckte Zedekiah bei der Frage also sein Kinn in die Höhe. ”Summerset! Wie der Sommer!” Für die Dauer einer Sekunde verharrte er so, dann legte er leicht unsicher den Kopf schief. ”Aber nicht mit o, glaube ich.” Gedanklich schrieb er Selenas Namen in die Luft. Ne, mit einem O sah der irgendwie seltsam aus. Suommerset.
”Ich bin mir sicher, dass er wirklich nett ist.” Nett. Es wäre weniger beleidigend gewesen, wenn sie ihn als scheiße bezeichnet hätte.
Er drohte ihr mit Isolation, mit dem Abschneiden von den Möglichkeiten, die er ihr bot. Bessere Möglichkeiten würde sie nicht finden, und dass sie sich dessen bewusst war, diesen Glauben tiefer in sich verankerte als Katholiken das Ave Maria, war seinen Zielen unerlässlich.
Vega blieb nichts weiter als eine Satzfuge im Leben des Zerrudos. Ein Einwurf, für den man kurz extra einatmete; dem man einen Platz auf seinen Lippen, in seinen Gedanken gab. Den man auch herausschneiden könnte, ohne den Inhalt zu verlieren, lediglich ein Stück vom Kontext würde dadurch in den Boden sickern wie Regenwasser in dürren Boden. Mehr nicht. Mehr war sie nicht, obwohl sie ähnlich darin waren, wie sie gemacht waren — wie sie lebten, in Schatten, in die sich Blicke nur selten verirrten, und wenn doch, dann nur jene, die sowieso schon auf der Suche waren.
Ich war bestimmt schon dreimal kurz davor, alles hinzuwerfen und mir als Rugby-Spieler fortan professionell die Nase brechen zu lassen.
So ein Rugby-Feld ist bestimmt deutlich fruchtbarer, als mein stickiges Büro und das wäre sicherlich lustig. Wie Nikolay wohl darauf reagieren würde? Auf jeden Fall würde es dafür sorgen, dass mein Vater das Zeitliche segnet.
Wenn mich etwas an dir stört, dann ist es die Annahme, ich würde lieber den anderen schreiben als dir. Eigentlich schreibe ich keinem von euch undankbaren Rotzbengeln gern.
Sie verstand also den Seitenhieb, der vor allem eher Polina gelten sollte und bei dem Agnessa schlichtweg den Kollateralschaden darstellte, doch an ihren Mangel an magischen Fähigkeiten reduziert zu werden und in solch gemeiner Weise von dem Kauf ihrer Katze zu hören, die doch eine der wenigen guten und schönen Dinge in ihrem derzeitigen Leben darstellte tat trotzdem sehr weh und man konnte tatsächlich sehen wie sie unter diesen harschen Worten zusammenzuckte und den Blick in der Flüssigkeit in ihrem Glas verlor.
Agatino war sehr weit davon entfernt, ein Philosoph zu sein. Er war simpel, wehleidig höchstens, doch das Hinterfragen war anderen Menschen vorbehalten, nicht ihm.
Sie hatte in den vergangenen Jahren Schlimmeres gesehen und erlebt, als eine Prostituierte. Die Welt hatte Schlimmeres gesehen, als eine Prostituierte - aber das vergaßen sie alle wohl viel zu häufig.
Ich stehe vor Evelyn und sie steht vor mir und sie lässt mich bluten, lässt mich brechen, lässt mich schreien. Ich begreife meistens relativ früh, dass ich träume. Evelyn Thorne ist zu solcherlei Grausamkeiten nicht imstande - das weiß selbst mein Unterbewusstsein.
Vielleicht böten sich dafür auch die Ferien an, selbst wenn Melchior die Erfahrung gemacht hatte, dass das Kollegium während jener im Schloss so viel vorzubereiten hatte, dass man diesem kaum aus dem Weg gehen konnte. Und manche von denen waren so unerträglich geschwätzig, dass er sich lieber mit Terpentin übergossen und selbst angezündet hätte, als sich der Tortur einer solchen Unterhaltung auszusetzen.
Seit Juli. Vielleicht auch schon seit Juni oder Beginn des Jahres, verlor Ravi sich selbst. Und das war nichts im Vergleich zu dem Chaos, in welches Sloan sich hüllte, weil die Unordnung an Sloans Seite vielmehr ein treuer Begleiter zu sein schien. Sie gehörte zu dem Professor, genauso wie der kleine Frosch, von welchem Ravi inständig hoffte, dass er nicht irgendwo in diesem Chaos vergraben lag.
So viel Alltag, während man darauf wartete, dass irgendetwas passierte, das einen aus dem Takt brachte — obwohl man sich zur gleichen Zeit vor nichts mehr fürchtete als davor; gerade Melchior ging es so, der doch an seine Routine klammerte wie an die Arme einer liebenden Mutter.
Während seiner Ausbildung zum Archivar und der Fortbildung zum Kurator hatte er darauf gewartet, dass das echte Leben begann. Seit das echte Leben für ihn begonnen hatte, wartete er darauf, dass es sich lebenswert anfühlte und nicht wie ein niemals endendes Zähneputz-Ritual, dicht gefolgt von der täglichen Rasur, dem Kämmen der matten, dunkelbraunen Haare, dem Glätten des Tweed Anzuges und dem Binden der Schnürsenkel.
Melchior hasste es, zu warten, aber wenn er ehrlich mit sich wäre, würde ihm bewusst werden, dass sein ganzes Leben dem unerträglichen Stehen in einer Warteschlange ähnelte.
Na gut, das war übertrieben, aber so wehleidig wie Emilio sich am frühen Morgen vom Unterricht entschuldigen lassen hatte und seit jeher das Bett hütete, konnte man durchaus annehmen, die Tage des Morenos waren längst gezählt. Wegen eines kleinen Schnupfens, wohlgemerkt. Er hatte nicht einmal Fieber und die Sanari des Schulhospitals hatte ihn vermutlich auch nur vom Unterricht befreit, weil Emilio sich nicht davor scheute, seinem Darm einen überaus turbulenten Charakter anzudichten.
Es gab Tage, an denen Mira das nicht wollte. Tage, an denen sie nicht vorwärts ging, sondern stattdessen lieber zurückblickte. Doch dies war kein solcher Tag und damit war sie sehr froh und vor allem dankbar über das beschauliche, doch aber auch gemütliche Nest, welches Gabriel ihr bot. Es war klein, es war schief, es roch immer nach Tee oder anderen Gewürzen, aber es war Zuhause.
Am liebsten würde sie aus dem Fenster gucken und das Treiben der Menschen auf der Straße oder das Wiegen der Bäume im Wind beobachten. Das Fliegen der Vögel und Treiben der Wolken. Doch das alles blieb ihr verwehrt, rückte von Tag zu Tag weiter in die Ferne als kaum greifbare und verblassende Erinnerung. Zurück blieben Eindrücke, die sie heimsuchten wie Echos, welche den Klang des ursprünglichen Geräusches nur noch bruchstückhaft und unvollständig wiedergaben.
Peregrine hatte die Einladungen geschrieben. Er hatte sie alle drei an einem Tisch haben wollen, hatte einem Geist der Vergangenheit nachjagen wollen, um etwas von dem zurückzugewinnen, was die zwei Jahre der Einsamkeiten ihnen entrissen hatten.
Er hatte die Scherben seiner Familie auflesen und wieder zusammensetzen wollen, in der Hoffnung, sie können doch wieder zu einem Bild werden.
Spürte er wie kaputt dieser Mann war, der gefühlt nur noch aus Schwarzer Magie und den Intentionen seiner Familie bestand — ein zerbrochener und erzwungen wieder zusammengesetzter Gegenstand; ein Erbstück, sicherlich, aber kein schönes mehr. Zerfurcht von den tausenden Malen, die man diese Vase zu Boden geworfen hatte. Sein Gesicht gab davon nichts preis, aber die Narbe tat es.
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