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Schmeichelei und Beleidigung gingen bei ihnen stets Hand in Hand. Und weil sie einander in dieser Hinsicht so ähnlich waren, machte es ihm auch nichts, ihn zu küssen; sie wussten beide, dass dort nichts mehr war, an dem sie hingen. Zu viele Jahre waren ins Land gezogen, zu viele Männer hatten sie einander überlassen oder abgenommen: auch wie Geschenke. Als hätten sie Zwillingsherzen, die sich doch immer an die gleichen Menschen ketteten, meist nie für lange Zeit, denn auch in der Hinsicht waren sie einander so ähnlich geworden, dass es kaum noch vorstellbar war, dass sie einst ein Paar gewesen waren.
Cillian hatte nicht in James’ Schatten gestanden, um sich vor der Sonne zu schützen, nein, er hatte sich an der Seite des Balfours gewärmt, hatte mit ihm im Licht gebadet und gierig jeden Funken aufgeschnappt, der von seinem besten Freund auf ihn übergeprallt war.
Er grinste gerade, drauf und dran, den bodenlangen Krepprock zum Schwingen zu bringen, als er den blonden Mann bemerkte, mit köstlichen Locken wie ein Engel, Sommersprossen und Beinen, bei denen Eliyas’ Augen fast verlegen, keusch als wäre das unerhört, beiseite zucken wollten. Aber nicht konnten. Und er wurde zurück angestarrt, jedoch mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, als würde der andere überlegen, ihn hier und jetzt zu Boden zu wrestlen, woraufhin Eliyas vor Vergnügen rot anlief und ihn beschwipst anstrahlte.
Anniki blickte Arvin ernst entgegen, während ihr Familiar die Zunge ausstreckte, als hätte sie in Arvins Familiar einen Snack für zwischendurch entdeckt.
Hätte man irgendjemanden zu seiner Schulzeit gefragt, was er einmal werden würde, hätte wohl niemand bei Eliyas Katz auf Excubitor getippt. Eher hätten sie darauf gewettet, ihn an der Flasche hängend in den alten Kneipen herumhängen zu sehen, sich betrinkend, manchmal Gedichte veröffentlichend, ein kleines, schmerzhaftes Leben; eingekartet wie ein verkohltes Herz.
Nachdenklich sah er, die Bibel unter den Arm geklemmt, weiter zu Silas herab — und lachte leise, verlegen, kaum dass Silas sich wieder über das Orgelspiel beschwerte. Aber Gott vorschob, wie er es in den letzten Jahren immer mehr zu tun pflegte. Wie ein Kind, das sich hinterm Rock der Mutter versteckte. Maurices Herz schwoll an, bis seine Rippen in die Kammern zwickten. Blut wurde gelassen, floss in den Hohlraum seines Körpers, der sich schon immer von Idiotie hatte erweichen lassen.
Silas hatte noch nie Frieden gebracht, egal wohin er ging — auch jetzt stolperte er zwischen den Bänken entlang, noch im Suff, dafür musste Maurice nicht einmal die Fahne riechen, auch wenn jene so kräftig war, dass sie sich nicht einmal vom alten Muff der Kirche niederringen ließ. ” Sieht mir weder nach Bibliothek noch nach Kneipe aus”, murmelte Maurice; absichtlich die Stimme senkend.
Er sah, wie kaputt sich der Mann machte, dessen Gesicht von schneidig zu hager wie ein Ledergürtel um schmale Hüften geworden war. Wie er sich seinem eigenen Wahn angepasst hatte und doch noch immer mit seiner Persönlichkeit mehr Schwung, mehr Leben verströmte als Maurice, dessen Wellen kleiner schlugen. In dessen Herz die ganze Welt passte, aber der sie dann mit dröger Alltäglichkeit, mit seinem Charakter, der nach Ordnung und Ruhe und Friedfertigkeit strebte, erstickte.
Heloise, die zwischen ihnen stand, obwohl sie seit vielen Jahren Stellans fernblieb. Sie, auf die sich all ihre Sehnsüchte einst zentriert hatten, war nicht länger Dreh- und Angelpunkt der Freundschaft zwischen Silas und Maurice. Und wenn sie es doch war, erklärte es, warum sie vollkommen außer Kontrolle geraten waren. Warum Maurice sich fühlte, als würde er auf einem Tandem sitzen, strampeln und strampeln aber nicht vorankommen, weil Silas seine verfluchten Hacken in den Boden gerammt hatte und alles daran setzte, ihre Reise zu sabotieren. Sich selbst zu sabotieren, das war das eine; aber Maurice gleich mitzunehmen, sollte unverzeihlich sein.
Alle Bonfes wussten, wie man halb unsichtbar wurde, und doch waren sie nie unsichtbar genug.
Was blieb ihm auch anderes übrig? Er könnte hier draußen stehen bleiben und darauf warten, dass er eins mit dem Sand zu seinen Füßen wurde. Oder er könnte nach drinnen gehen und mit Lidia Aeterna sprechen. Ein dazwischen, eine andere Wahl, gab es nicht für ihn.
”Du verwechselst mich bestimmt-” Genau. Mit seinem Cousin, der beinahe genau so wie er aussah. Baldwyn Monfe.
Tüchtig und demütig. Hätte man Silas nun darum gebeten, ein paar Psalme aufzusagen, wären sie ihm mit Sicherheit alle entfallen.
Gott war überall. Seinen Blicken entging nichts, auch wenn es vermutlich für sie alle besser wäre, wenn er zumindest manchmal die Augen verschließen würde.
Bärs Sorgen wurden in seinen Eingeweiden geboren und dort auch zu Grabe gelegt. Er ließ nicht zu, dass sie ihn mehr beeinflussten, als sie es auch so schon hatten. Er konnte sie nicht teilen, nicht mehr seit die Menschen um ihn herum so fragil geworden waren, so empfindsam, und nicht als der Mann, als der er wahrgenommen wurde.
Wo Maurice gleichermaßen Können wie auch Sanftheit bewies, war Silas schon immer grob und unachtsam gewesen - was auch erklärte, warum ein paar der Tasten mit ihrem strahlenden Weiß vollkommen fehl platziert in dieser Kirche erschienen.
Perfekt, das war die Ehe mit ihrem Gael. Unvorstellbar, ein Leben ohne ihn. Das Schlimmste war vermutlich, dass sie sich das einerseits einredete und andererseits mit Herz und Seele daran glaubte, ohne sich bewusst zu sein, dass ihr fanatischer Wille, niemals unglücklich zu wirken, sie auch nicht glücklicher machte.
Sie war immer noch gut darin: im Komprimieren ihrer eigenen Gefühle. Später würden sie hervorplatzen, jetzt ließ sie sich von ihnen die Rippen brechen.
”Abel macht sich Sorgen um dich, weißt du?” Es war leichter, den Ältesten vorzuschieben, als Sinnbild geschwisterlicher Liebe, während sie selbst glaubte, nüchtern und kalt bleiben zu können. Abel liebte sie alle genug, dass sie nicht viel anderes aufwenden mussten, richtig? ”Er fragt sich, ob du nicht etwas zu viel von Jesu Blut trinkst.”
”Dich würde ich niemals enttäuschen wollen, Silas, aber mich nützlich machen muss ich hier schon lange nicht mehr. Wie sollte ich? Es ist mitten in der Nacht. Und ich bin hier, um nach dir zu sehen — ist das nicht nützlich genug?”
”Weißt du, ich kann immer noch Psalme rezitieren; ihr Echo zieht immer noch durch mich hindurch. Ich kann noch immer die Choräle singen, als hätte ich sie selbst geschrieben. Manchmal summe ich ihre Melodien, ohne es selbst zu bemerken, wie als …” Sie schüttelte den Kopf, hmm-te zum Abschluss. Wie seltsam, nach all den Jahren noch diese Lieder in sich zu tragen, deren Formen und Farben sich in ihr festgesetzt hatten wie Fingerabdrücke in feuchtem Ton.
In einer anderen Realität wäre sie Pfarrer geworden und er würde … Sie versuchte sich vorzustellen, als was er stattdessen arbeiten würde. Als Winzer? Ihre Augen verengten sich leicht, so hart musste sie sich konzentrieren. Als Hausierer? Wie schön, Sie anzutreffen! Mein Name ist Silas Zapatka, Ma’am. Haben Sie schon von unserem neuesten magischen Staubentferner gehört? Jetzt in Vollautomatik, benötigt kaum mehr als diese herrliche Apparatschaft und einen aus dem Handgelenk gewirkten Zauber. Erleichtert die Hausarbeit wirklich ungemein. Darf ich nicht reinkommen? Oh ja, ein Kaffee wäre fantastisch. Zu einem Schuss sag ich natürlich nicht nein! Perfekt, so konnte sie ihn sich vorstellen. Wenn er nicht an Gott glauben würde, dann vermutlich an den Konsum.
Scham brannte noch immer in ihr, aber sie war mittlerweile tröstlich. Rief man sie in ihr hervor, konnte man sich Virginias Entzückens sicher sein, so gierig lechzte sie noch nach den alten Wegen, die ihre Religion von der Wiege bis zur metaphorischen Bahre vorgezeichnet hatten.
Abel rebellierte nicht, er hatte sich einfach aus einer Hülle geschält, die ihm sowieso immer zu eng gewesen war; hatte sich einer Welt geöffnet, die eigentlich Kindern wie ihnen, die in Isolation und mit indoktrinierter Furcht aufgewachsen waren, vorenthalten wurde. Er hatte sich in seinen Studien wie ein Gefäß füllen lassen und war verändert zurückgekehrt, hatte all seine Erfahrungen trotz des eigenen Zynismus’ mit seinen Geschwistern geteilt, sie nie im Stich gelassen.
Sofern die Geschichten einen wahren Kern besaßen und die sprechenden Überbleibsel jenes Mannes nicht mit den Gebrüdern Grimm zu konkurrieren versuchten.
”Woher kennst du die nochmal? Einem Dichter-Club? Machen bei sowas nicht nur Spießer mit?” Ambróis schnalzte einmal mit der Zunge und wedelte mit der Hand durch die Luft. ”Du hast doch keine Ahnung - weißt du überhaupt, was Dichter machen?” ”Dichtern?”
Heute Nacht würde er Griffith nicht das Blut aus dem Gesicht tupfen, heute würde er sich tatsächlich amüsieren.
Kein anderes ihrer Kinder hatte so jung schon darauf bestanden, seine eigenen Kleider auszusuchen und sich selbst anzuziehen, wie Maksim. Und niemand sonst von ihnen hatte schon bei der ersten Fahrt auf dem Fahrrad so verbissen darauf bestanden, ohne Stützräder zu fahren … was natürlich mit aufgeschlagenen Knien und Schrammen an Armen, Beinen und Kinn geendet hatte. Und die Tränen darüber wurden selbstverständlich mit bibbernder Lippe heruntergeschluckt, bis sein Kopf so hochrot gewesen war, als drohte er zu explodieren.
In einem Magazin hatte sie kürzlich gelesen, dass körperliche Nähe einem Kind auch nach dem jüngsten Alter gut tun könnte. Und dass kontinuierliche Distanz und Strenge tatsächlich weniger hilfreich war.
”Soll ich dir Frühstück ins Bett bringen, Mira? Du musst heute nicht aufstehen. Oh, und zieh dir doch Socken an. Du fängst dir nur noch was ein”, murmelte er schließlich. Wobei er erstaunlich nach Mutter und Vater in einer Person klang; vielleicht hatte er doch endlich den Punkt erreicht, an dem er sich dieser Rolle nicht länger fremd fühlte. Vielleicht war es das, was Angst um das Wohlergehen des Kindes mit einem machte: es gab den letzten, notwendigen Schubs, drückte einen schlussendlich in die Form, von der man befürchtet hatte, man würde nicht in jene hineinpassen.
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