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Da war keine Wärme in seinem Blick, kein Mitleid und vielleicht noch nicht einmal Hass - ja, das war das schlimmste für Nicoló. Dass er es noch nicht einmal schaffte, Juniper aus ganzem Herzen für das, was sie ihnen angetan hatte, zu hassen, weil er schon immer ein weiches Herz für das junge Mädchen besessen hatte, dass in ihrer Jugend doch ein ähnlicher Wirbelsturm wie er selbst gewesen war. Er hatte sie geliebt, als wäre sie seine eigene Schwester gewesen und er hätte ohne zu zögern sein Leben für sie gegeben - doch er hatte vergessen, welchen Namen sie trug und mit was für einer Bedeutung dieser einher ging.
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Nein, sein Herz war nicht aus Glas, es zerbrach nicht unter dem Druck einer geballten Faust oder einem zu starken Wind - aber es hatte schon immer nur aus Bruchstücken bestanden, die man kläglich zusammengefügt hatte.
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Nicolò flüchtete sich in seine Wut, als wären es die schützenden Arme seiner Eltern, nur dass auch jene selten aus etwas anderem als eben jener Wut bestanden hatten. Ein Gimondi zu sein hatte schließlich schon immer bedeutet, auf sich alleine gestellt zu sein, auf die Familie; sie gegen den Rest der Welt.
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Sein Hauptaugenmerk lag nicht auf seiner Umgebung, sondern verweilte noch immer am Ufer der Moldau, noch immer an dem Mann, zu dem er sich nicht umgedreht hatte, weil er gewusst hatte, dass, wenn er sich zu Arcturus umdrehen würde, ihm nichts anderes übrig bleiben würde, als ihm die Nase zu brechen - mit seiner Faust oder - noch schlimmer - einem Kuss, der doch nicht weniger Schlag sein würde, weil die über Jahre hinweg gefütterte Sehnsucht sich längst in eine Wucht umgewandelt hatte, die sich danach sehnte, zu zerschmettern.
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Das Schwimmen lag Nicolò genauso im Blut wie das Aufbegehren, als wäre er seine eigene stürmische See - und doch vergaß er noch im selben Moment, in welchem er untertauchte, die wohl wichtigste Lektion, die man ihm je gegeben hatte, bevor er das erste Mal im ligurischen Meer bei Genua schwimmen gegangen war: er war unaufmerksam.
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”My favourite story was from a man who was convinced that The Ninth Face was not an artefact but a person, none other than a former lover of Mussolini - but I'm not drunk enough to tell you that story.“
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Arcturus’ unerwartetes Auftauchen löste eine ungestüme Unruhe in Nicolò aus, aber diese hatte nichts von dem Chaos an sich, in welchem er versinken wollte. Es riss ihn auch mit sich und in die Tiefe, aber die Vorstellung, darin zu ertrinken, hatte plötzlich nichts mehr seltsam besänftigendes an sich, sondern ließ Nicolò noch stärker beben als der Prager Winter, der sich durch seine viel zu dünne Lederjacke fraß, die bei jeder Bewegung knirschte wie Baumrinde.
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Hier war er niemand, denn nur so lange er niemand war, konnte er seiner Aufgabe nachkommen, seinen Auftrag zufriedenstellend erledigen, weil Nicolò Gimondi nicht hier sein konnte, nicht noch immer im Spinnennetz verwoben sein konnte, weil er doch geschworen hatte, nie wieder auch nur einen Faden dessen zu berühren.
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Nichts vermochte sich so schnell in Knochen zu fressen, wie eisige Kälte. Wie die Reißzähne eines Raubtiers grub sie sich durch die alte Lederjacke und den kratzigen Wollpullover in Nicolòs Fleisch, durchriss Adern und zerbrach Knochen, als wären es nur ein paar dünne Äste, welche in ihm wuchsen. Zwischen Laubbergen an verwesenden Gedanken und einer wild wuchernden Schuld nistete sie sich in ihm ein, eine seltsame Taubheit, die sich auch durch seine fahrigen Schritte unter dem Torbogen nicht vertreiben ließ.
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Was blieb ihm auch anderes übrig? Er könnte hier draußen stehen bleiben und darauf warten, dass er eins mit dem Sand zu seinen Füßen wurde. Oder er könnte nach drinnen gehen und mit Lidia Aeterna sprechen. Ein dazwischen, eine andere Wahl, gab es nicht für ihn.
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Seine Augen öffneten sich wieder und fielen auf die Brust des anderen. Die Hände, welche die Knöpfe des weißen Hemdes öffneten, den Stoff aufschlugen und den Abgrund offenbarten, den sie miteinander teilten. Für zwei schrecklich lange Atemzüge betrachtete Nicolò das dunkle Geflecht des anderen, dann beugte er sich nach vorne, über den Tisch und streckte die eigene Hand aus. Vorsichtig, als wäre Arcturus’ Natur so scheu wie die eines Rehs, strich Nicolò über dessen Haut, dann legte er die Handfläche direkt über die Stelle seines Herzens.
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Er war zum ertrinken verdammt, auf ewig versunken, ein Mensch gewordenes Atlantis.
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”Was hab ich noch verpasst? Euer drittes Kind? Den Bau eures Hauses mit fünf Stockwerken? Erzähl mir doch bitte, wie euer Garten aussieht, das würde mich ja wirklich brennend interessieren.” Ohne dass er es bemerkte, ertrank Nicolòs Stimme brennendem Spott. ”Soll ich dich überhaupt noch van Hoek nennen?”
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Da war nicht nur die Narbe, welche sich über den Kamin zeichnete, als hätte die schwarze Magie auch von diesem Haus einst ihren Tribut gefordert - das ganze Haus schien wie verflucht zu sein. Nun war es nicht länger Wut, an welcher es sich nährte, sondern Hass.
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Im Schrank seines alten Kinderzimmers hingen noch immer ein paar seiner Sachen, doch es war mehr als zwanzig Jahre her, dass er diesen Ort sein Zuhause genannt hatte. Was er dort fand, fühlte sich wie aus einem anderen Leben an; als würde es einem Fremden gehören.
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