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Selbst in den Spitzen seiner Haare konnte Maksim die Spannung zwischen ihnen spüren, als würde man ihm das Feuer direkt in den Nacken halten, die blonden Strähnen fast mit den Flammen ansengen. In Wirklichkeit war dort jedoch Eliyas’ Hand, die ihm im vorbei laufen über den Nacken strich, seine Finger, die sich für den Bruchteil einer Sekunde wieder in dem zerzausten Haar verirrten, als wäre nichts dabei, als würde Maksim ihnen nicht instinktiv mit den eigenen nachjagen, kaum dass Eliyas sich schon wieder von ihm gelöst hatte. Wie benommen tastete Maksim die warmen Schatten seiner Berührung nach.
Für den Moment rührte er sich nicht, blieb feige von Eliyas fortgedreht, weil er nur so sagen konnte, was ihm auf der Zunge lag, auch wenn dies nicht verhinderte, dass die Scham seine Wangen zum glühen brachte.
Aber das war ja auch das Problem, dass Maksim ein Fedorov war, der ihren Namen in die Bedeutungslosigkeit stürzte, wenn er ihn nicht sogar mit seinem Versagen beschmutzte.
Maksim wusste nicht, wen er in diesem Augenblick mehr verabscheute: Nikolay, dafür, dass er ihm sein Versagen so deutlich unter die Nase rieb, oder sich selbst für sein Versagen.
Die Wut lag ihm weiterhin auf der Zunge und verlangte mit jeder weiteren Sekunde danach, ausgespuckt zu werden. Am besten in Nikolays Gesicht.
Für Maksim schmeckte Nähe metallisch, war eng verbunden mit dem pulsierenden Schmerz einer aufgeplatzten Lippe, der belebend und betäubend zugleich war. Wenn er Zuflucht suchte, dann im Chaos einer Schlägerei, nie in den Armen einer anderen Person, selbst wenn es so nur weitere Zerstörung war, welcher er sich aussetzte.
Aufgeplatzte Fingerknöcheln. Ein Netz aus Striemen und verblassenden Narben. Blau, Grün, Violett auf der Haut. Blut, dass aus der Nase über die Lippen quoll; über das Kinn lief, auf das Hemd tropfte, den weißen Stoff vielleicht für immer verfärbte. Das war es, was Maksim vertraut war. Seine Hände waren wie dafür gemacht, sich zu Fäusten zu ballen und um sich zu schlagen.
”I’m not shy!” Aber wählerisch, das war er ganz bestimmt, andernfalls hätte er sein Herz vielleicht doch schon anderen in die Hände gelegt und nicht bei jeder noch so flüchtigen Begegnung doch eigentlich fast immer nach den gleichen Dingen gesucht: dunkles Haar, ein spitzbübisches Grinsen, mit Grübchen, in welche man die Finger bohren wollte.
Bereits jetzt verzweifelte er daran, was er an diesem Tisch sagen sollte, fühlte sich erschlagen, von der plötzlichen Verantwortung, welche man auf diesem Platz von ihm verlangte. In seiner Vorstellung war es eine eiserne Stille, welche an diesem Tisch herrschte, und Maksim war es, der von jener erdrückt werden würde.
”And I never thought sleeping with women was lovely, but I’m glad at least you had your fun.” Wie ein eingesperrtes Tier trat er um sich, nun, wo er keinen Ausweg mehr fand. ”Do you think sleeping with Ambróis would help me too to make any sense to this? Does he have some kind of all-knowing magic dick?”
Sich zu verlieben, längeres, ernsthaftes Interesse für jemanden zu entwickeln oder gar Gefallen an diesen Begegnungen zu finden, die sich doch in erster Linie immer nur wie eine Notwendigkeit angefühlt hatten, war Maksim nicht in den Sinn gekommen. Nicht, bis er eine Kostprobe davon bekommen hatte, wie es sich anfühlte, Eliyas zu küssen. Wie anders das war, sich wahrhaftig danach zu sehnen, und wie erniedrigend zugleich, weil seine eigenen Wünsche schon immer das für ihn gewesen waren - erniedrigend. Nein, das konnte er nicht aussprechen.
”I’m not interested in men”, stieß Maksim es beinahe augenblicklich mit dem Rauch in die Luft, die Stimme seltsam fest, als hätte er diesen Satz schon tausende Male gesagt.
Andererseits musste Maksim kein waghalsiges Experiment mit einer bunten Krawatte starten, um Nikolays vernichtenden Blick auf sich spüren zu können, als hätte Maksim ihm soeben gebeichtet, er würde fortan nur noch für das Klatschmagazin der Falkenraths schreiben.
Menschen sorgten sich nicht um ihn, nicht um Maksim Fedorov, der doch schon immer breite Schultern und ein vor Stolz in die Höhe gerecktes Kinn gewesen war. Niemand musste sich um Maksim Fedorov sorgen, schon gar nicht seine besten Freunde.
Weil Eliyas mehr als die Abdrücke war, die sein Körper vor wenigen Wochen auf Maksims Bett hinterlassen hatte, mehr als ein paar zusammengefaltete Gedichte, die sich zwischen den Seiten eines Romans versteckten. Weil Eliyas selbst auf seiner Haut Spuren hinterlassen hatte, die fürs bloße Auge vielleicht nicht zu erkennen waren, die Maksim jedoch immer noch glaubte zu spüren, wenn er mit den Fingern nach ihnen tastete. Manchmal in Sehnsucht, manchmal in der Suche nach einer Narbe, als hätte man ihn verbrannt.
Eliyas musste nicht da sein, damit Maksim wusste, wie er die schwarzen Augenbrauen zusammenzog, eine Falte zwischen ihnen bildete, wenn er über eine Stelle stieß, die ihn zum Nachdenken anregte. Er konnte es genauso sehen, wie den Winkel, in welchem Eliyas stets seine Beine überschlug und wie er sich träge tiefer in die Polster sinken ließ, wenn die Stunden an ihnen vorbei eilten, aber die Zeit sich noch zu roh für einen Abschied anfühlte.
Auf eigenen Füßen stehen, das war es doch, was sein Vater sich von ihm erhofft hatte. Verantwortung zu übernehmen. Zu beweisen, dass er mehr als der Junge war, dessen Scherben man hinter ihm wegräumen musste.
”You didn’t destroy our friendship”, fing er nun langsam an und für einen Moment sah er sich zwischen all den Briefen stehen, die er doch nie abgeschickt hatte.
Ein einziger Kuss, den er selbst zehn Jahre später noch auf seiner Wange brennen spüren konnte, hatte sie aus dem Gleichgewicht gebracht, und es war wieder ein Kuss gewesen, mit welchem Maksim den Untergang ihrer Freundschaft besiegelt hatte, als hätte er es nicht besser wissen müssen, als Eliyas an sich zu ziehen und ihm seine Lippen aufzuzwingen.
Eliyas ekelte sich vor ihm. Mit jedem falschen Lächeln bewies er dies Maksim, mit jedem ungeschickten Witz rieb er es dem Fedorov noch einmal unter die Nase, mit jedem Mal, dass er Frédéric, Heyne und Oleander in eine Umarmung zog, aber nicht Maksim, niemals Maksim, als müsste er befürchten, sich etwas widerwärtiges einzufangen, wenn sich auch nur ihre Arme berührten. So war es schon immer gewesen.
”Versuchst du uns zum Singen zu erpressen? Der feine Herr Excubitor?” Seine Augenbrauen zuckten in die Höhe, er zog noch einmal an seiner Zigarette und dann kam er Oleanders Bitte nach, indem er ihm erst die Zigarette überließ und dann dazu ansetzte, mit seinem Fahrrad loszufahren - jedoch nicht ohne voller Inbrunst zu singen zu beginnen: ”Kaaalinnnka, kalinka, kalinka mayaaa! V sadu yagada malinka, malinka maya!”
Ihre Mutter hätte sie nie auf diese Weise umarmt. Weder Agnessa noch Maksim. Noch nie zuvor war ihm ein Gedanke dieser Art in den Sinn gekommen und doch genügte er nun, um auch ihm die Tränen über die Wangen zu treiben und seine Schultern beben zu lassen. Oh, wie sehr er sich selbst in diesem Augenblick doch verachtete.
Überhaupt finde ich es fast schon beleidigend, dass du Rugby mit Basketball vergleichst - nur weil beide Sportarten einen Ball beinhalten, kannst du die noch lange nicht auf eine Ebene miteinander setzen. Oder würdest du auch Golf und Tennis direkt nebeneinander stellen, nur weil man bei beidem mit einem Stock gegen Bälle schlägt? Wenn ja, ist es vielleicht ganz gut, dass du nur in der Sport-Vereins Sauna sitzen würdest.
Ich war bestimmt schon dreimal kurz davor, alles hinzuwerfen und mir als Rugby-Spieler fortan professionell die Nase brechen zu lassen.
So ein Rugby-Feld ist bestimmt deutlich fruchtbarer, als mein stickiges Büro und das wäre sicherlich lustig. Wie Nikolay wohl darauf reagieren würde? Auf jeden Fall würde es dafür sorgen, dass mein Vater das Zeitliche segnet.
Oft genug war es aber auch er selbst gewesen, der sich eine Ohrfeige für einen unangebrachten Spruch eingefangen hatte. Seiner Meinung nach waren es nur Scherze gewesen - fragte man seinen Vater oder Nikolay, dessen Kopf sich sowieso bis zum Anschlag in Czars Hintern befand, war er nichts weiter als respektlos.
Vielleicht war Maksim das in diesem Augenblick aber auch egal - er kam so oder so in die Hölle, davon war er längst überzeugt. Wenn er sich nicht sogar bereits in dieser befand. Eine Hölle so groß wie das Anwesen, in welchem er geboren wurde.
Dieser Wind bedeutete Heimat und Sicherheit, dieser Wind konnte ihn in eine wohlige Nostalgie hüllen oder ihm einen unangenehmen Schauer den Rücken hinab jagen, dieser Wind konnte Geborgenheit und Verachtung in sich tragen. Dieser Wind trug den Namen seiner Mutter.
”Ich entschuldige mich nicht für einen Fehler, den du gemacht hast.” Denn letztendlich war es doch Czars Verantwortung gewesen, es gar nicht erst zu solch einem Fall kommen zu lassen. Er war das Oberhaupt der Familie und des Beluns. Er war der Mann, der die Hände anderer schüttelte, selbst wenn er sich dabei selbst mit Blut befleckte.
Ein Glück, dass Nikolay ein zu großer Spießer war, um ungebeten in einen Raum zu treten.
Wenn Maksim es wagte, zu träumen, nur für sich, so heimlich, dass es sich anfühlte, als würde er damit gegen Gesetze verstoßen, dann doch stets mit dem Hintergedanken, dass ihm nichts davon jemals zustehen würde.
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